David Cameron

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David Cameron (2010) David Cameron

David William Donald Cameron (* 9. Oktober 1966 in London) ist ein britischer Politiker. Er war vom 11. Mai 2010 bis zum 13. Juli 2016 Premierminister des Vereinigten Königreichs und von 2005 bis 2016 Parteivorsitzender der Conservative Party. Cameron war Initiator des Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands sowie des Brexit-Referendums, da er seine innerparteiliche Position mit dem Referendum darüber stabilisieren wollte. Nach der Entscheidung der britischen Wähler für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union trat er zurück, weil er für den Verbleib plädiert hatte. Seine Nachfolgerin im Amt des Premierministers wurde am 13. Juli 2016 die bisherige Innenministerin Theresa May.

Leben

David Cameron wuchs als drittes von vier Kindern in Peasemore (Berkshire) in England auf. Seine Mutter ist Mary Fleur Mount, eine Tochter von Sir William Malcolm, dem zweiten Baronet Mount. Sein Vater Ian Donald Cameron (1932–2010) arbeitete als Börsenmakler und war eine Zeitlang Chairman des Londoner White’s Club. David Cameron verbrachte seine Schulzeit auf zwei privaten Schulen: zunächst auf der Heatherdown School, einer Vorbereitungsschule in Winkfield (nahe Ascot), und dann am Eton College. Sein frühes Interesse galt der Kunst. Nach einem Gap Year, in dem er in Hongkong für Jardine Matheson Holdings und als Assistent für den konservativen Abgeordneten Tim Rathbone (1933–2002) arbeitete, studierte er am Brasenose College an der University of Oxford. Während seines Studiums war er Mitglied der exklusiven Studentenvereinigung Bullingdon Club; politischen Debattierclubs trat er nicht bei.[1]

Einer seiner Professoren, Vernon Bogdanor, bezeichnete ihn als einen seiner fähigsten Studenten und beschrieb seine politischen Ansichten als die eines gemäßigten und vernünftigen Konservativen.[2] 1988 beendete Cameron sein Studium in dem interdisziplinären Studiengang PPE (Philosophy, Politics and Economics) mit Auszeichnung.

Von 1988 bis 1992 arbeitete Cameron im Conservative Research Department der Conservative Party, das damals weithin als eine Kaderschmiede für zukünftige konservative Führungskräfte gakt; zuständig war er für den Bereich Trade and Industry, Energy and Privatisation (Handel und Industrie, Energie und Privatisierung). Seine Aufgaben umfassten dabei auch das Redenschreiben und die Präparierung auf öffentliche Auftritte von Kabinettministern. 1991 arbeitete er auch im Beratungsteam von Premierminister John Major in der Downing Street, um diesen für die damals noch zweimal wöchentlich stattfindenden Prime Minister’s Questions mit Material vorzubereiten. Außerdem wurde er später persönlicher Berater der Regierung unter John Major, zunächst als Berater des britischen Schatzamtes unter Norman Lamont; in dieser Zeit ereignete sich die Pfundkrise am „Schwarzen Mittwoch“ 1992, welche Majors Regierung einen schweren Schlag versetzte.[3] Danach folgte eine Zeit im britischen Innenministerium für Michael Howard. In dieser Zeit freundete sich Cameron mit anderen aufstrebenden jungen Tories wie Ed Vaizey, Steve Hilton und Edward Llewellyn an.

1994 wechselte Cameron in die Wirtschaft. Von 1994 bis 2001 war Cameron beim Medienunternehmen Carlton Communications tätig. Dort stieg er innerhalb von zwei Jahren zum Director of Corporate affairs auf. Bis August 2005 war er Manager bei der Urbium plc, einem Unternehmen, das eine Kette von Bars namens 'Tiger Tiger' betreibt. Im Juni 2001 wurde er ins britische Unterhaus gewählt.

Familie

Cameron und seine Frau vor dem Wahllokal bei den Parlamentswahlen 2010

David Cameron heiratete am 1. Juni 1996 Samantha Sheffield (* 18. April 1971). Mit ihr hat er vier Kinder; allerdings starb der 2002 geborene Sohn Ivan, der an zerebraler Kinderlähmung und schwerer Epilepsie litt, am 25. Februar 2009 im Alter von sechs Jahren. Ivan galt als privater Mittelpunkt für Cameron und seine Familie. Ungewöhnlich öffentlich nahmen auch das britische Unterhaus[4] sowie weite Teile der Bevölkerung an der Trauer der Familie Anteil.

Sowohl David Cameron, der ein Nachfahre von Wilhelm IV. ist, als auch seine Frau Samantha, deren Abstammung auf König Karl II. zurückgeht, sind weitläufig mit dem britischen Königshaus verwandt und gehören der englischen Landeskirche Church of England an.

Politische Karriere

Cameron bewarb sich 1997 erstmals um ein Mandat im Unterhaus und trat dabei als Kandidat der Conservative Party für den umkämpften Wahlkreis Stafford an. Er unterlag dem Kandidaten der Labour Party, David Kidney. Für die Wahl 2001 gelang es ihm, als Nachfolger von Shaun Woodward, der zur Labour gewechselt war, im Wahlkreis Witney, Oxfordshire, einem traditionell konservativ dominierten Wahlkreis, als Kandidat der Konservativen nominiert zu werden. Er gewann diesen Wahlkreis sowohl bei der Unterhauswahl im Juni 2001 mit einer komfortablen Mehrheit.

In Bezug auf die Befürwortung des Irakkrieges folgte Cameron, wie auch in anderen Fragen, der offiziellen Parteilinie. Anders als seine langjährigen Freunde und enge Verbündete, Michael Gove und George Osborne, die beide den Krieg und die Neokonservative Agenda voll unterstützten, schwenkte Cameron erst nach anfänglichem Zögern auf die Linie der Blair-Regierung und der konservativen Führung. Seine Entscheidung begründete er damit, dass er die special relationship zwischen den USA und Großbritannien, die für instrumental für den Fortbestand der NATO und die Friedensordnung nach 1945 hielt, anderenfalls für gefährdet ansah. Cameron, der seine erste Rede im House of Commons im Juni 2001 hielt, stieg innerhalb der konservativen Partei schnell auf. Schon im Juni 2003 wurde er zu einem Mitglied des Schattenkabinetts und zum Shadow Deputy Leader of the House of Commons. 2004 wurde er zu einem führenden Schattenminister ernannt. Am Entwurf des Wahlmanifests 2005 der Tories war er maßgeblich beteiligt. Nach der Wahlniederlage der Konservativen bei der Unterhauswahl übernahm er den einem Kultusminister ähnlichen Posten im Schattenkabinett. Sein Hauptaugenmerk richtete er auf Reformen im Schulsystem.

Wahl zum Parteivorsitzenden

Nach dem Sieg der Labour Party bei der Unterhauswahl im Mai 2005 gab Michael Howard seinen Rücktritt als Vorsitzender der Konservativen bekannt. Er legte den Termin für die Wahl seines Nachfolgers zunächst auf Anfang Dezember, um Zeit für eine Reform des komplizierten Wahlverfahrens zu gewinnen. Dies konnte er allerdings nicht durchsetzen.

Am 29. September 2005 gab Cameron offiziell seine Kandidatur für den Vorsitz bekannt. Er wurde dabei von vielen hochrangigen Parteikollegen unterstützt. Trotz alledem hatte seine Kampagne vor dem Parteitag der Konservativen Partei Anfang Oktober 2005 keine weitere nennenswerte Unterstützung bekommen. Ein bedeutender Wendepunkt seines innerparteilichen Wahlkampfes war seine Nominierungsrede auf dem Parteitag selbst. Neben seinem Versprechen, die inhaltliche Aufstellung und die damit gängige Wahrnehmung der Partei als elitär und altmodisch zu modernisieren, verbreiterte sein Verzicht auf einen Teleprompter und jegliche Notizen nach Einschätzung der BBC seine Stimmbasis in erheblichem Umfang.[5] Auch bei späteren bedeutenden Anlässen (zum Beispiel Parteitagen) sprach Cameron frei.

Im Laufe des Wahlkampfes zum Parteichef geriet Cameron wegen angeblichen früheren Drogenkonsums unter Druck. Als er am Rande einer Konferenz gefragt wurde, ob er Drogen genommen habe, antwortete er, er habe „normale“ Erfahrungen auf der Universität gemacht. Als er während der BBC-Sendung Question Time zu einer Antwort gedrängt wurde, bestand er darauf, dass jeder das Recht habe, in seiner Jugend Fehler zu machen und dass jeder Anspruch auf ein Privatleben vor der politischen Karriere habe.[6] Er merkte zudem an, dass Mitglieder des regierenden Labour-Kabinetts auf solche Fragen auch nicht antworteten. Auch Camerons sozialer Hintergrund sorgte während des Wahlkampfes für Gesprächsstoff und wurde immer wieder mit der viel schwierigeren sozialen Herkunft seines Rivalen David Davis verglichen.

Im ersten Wahlgang am 18. Oktober 2005 erzielte Cameron mit 56 Stimmen zwar ein besseres Ergebnis als erwartet, lag aber dennoch hinter David Davis, der 62 Stimmen erhielt. Im zweiten Wahlgang, der am 20. Oktober 2005 stattfand, gewann Cameron haushoch gegen Davis. Um zu sehen, ob Cameron oder Davis künftig an der Spitze der Conservative Party stehen sollte, wurde nun eine Urwahl durchgeführt, bei der alle Parteimitglieder wahlberechtigt waren. Cameron erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie Davis.

Cameron wurde am 6. Dezember als 26. Parteivorsitzender der Konservativen und gleichzeitig als Oppositionsführer vereidigt. Mit nur vier Jahren im Parlament war Cameron der dienstjüngste Abgeordnete nach William Pitt dem Jüngeren, der jemals die Führung einer großen britischen Partei übernahm. Als Oppositionsführer wurde er Mitte Dezember 2005 zum Mitglied des Privy Council ernannt.

Premierminister

Bei der Unterhauswahl am 6. Mai 2010 wurde Camerons Conservative Party die stärkste politische Kraft, erhielt aber keine absolute Mehrheit der Sitze. Es gab erstmals seit 1974 wieder ein hung parliament: Die stärkste Partei kann nicht aus eigener Kraft regieren, sondern ist auf einen Koalitionspartner angewiesen.[7] Sowohl Cameron als auch Amtsinhaber Gordon Brown nahmen Koalitionsverhandlungen mit den Liberal Democrats auf.

Brown erklärte am 11. Mai die Verhandlungen der Labour Party mit den Liberaldemokraten für gescheitert und reichte sein Rücktrittsgesuch ein. Noch am selben Tag wurde Cameron von Elisabeth II. zum Premierminister ernannt und mit der Regierungsbildung beauftragt.[8] Er bildete das Kabinett Cameron I.

Bei der Unterhauswahl am 7. Mai 2015 erreichten die Konservativen unter Camerons Führung entgegen allen Prognosen und Meinungsumfragen vor der Wahl knapp die absolute Mehrheit der Parlamentssitze (bei einem Stimmenanteil von 36,9 %). Cameron konnte nach der Wahl eine nur aus Konservativen bestehende neue Regierung bilden.

Nachdem beim Referendum am 23. Juni 2016 eine knappe Mehrheit (51,89 %) der Abstimmenden für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union votiert hatte, kündigte der Premierminister an, bis zum Oktober 2016 zurückzutreten.[9][10]

Nach Camerons Rücktrittsankündigung meldeten fünf Personen (Stephen Crabb, Liam Fox, Michael Gove, Andrea Leadsom und Theresa May) aus der Fraktion ihre Kandidatur für seine Nachfolge an. Das 1922-Komitee organisierte den Ablauf der Wahl. Am Dienstag, den 5. und Donnerstag, den 7. Juli 2016 fanden Vorwahlgänge innerhalb der Fraktion statt. Fox, Gove und Crabb schieden aus; nur noch May und Leadsom verblieben als Kandidaten.[11] Leadsom zog ihre Kandidatur am 11. Juli 2016 zurück und ermöglichte so Theresa Mays Amtsantritt als Premierministerin ohne parteiinterne Wahl.[12] Am 13. Juli beantwortete David Cameron letztmals die Prime Minister’s Questions im Parlament.[13] Anschließend trat er als Premierminister zurück; Theresa May wurde am selben Tag zu seiner Nachfolgerin ernannt.[14] Nach dem Führungswechsel kehrte Cameron auf die backbenches zurück.[15]

Politische Standpunkte

Cameron beschrieb sich selbst vor seiner Wahl zum Premierminister als „modernen, mitfühlenden Konservativen“. Er plädierte für einen politischen Stilwechsel und äußerte, er habe vom Hin und Her der Regierung von Gordon Brown (2007–2010) genug.

Um die Popularität der Conservative Party zu steigern, sollte ihr Schwerpunkt in Zukunft auf für britische Konservative bislang eher untypischen Themen wie beispielsweise Umweltschutz liegen. In gesellschaftspolitischen Fragen gilt Cameron als liberaler als seine Amtsvorgänger, vor allem bezüglich des Themas Homosexualität. Cameron unterstützte 2004 bei einer Abstimmung im Parlament den Civil Partnership Act (die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften – siehe Homosexualität im Vereinigten Königreich). Cameron nahm Bezug auf das berühmte Zitat von Margaret Thatcher, welches besagt, dass es so etwas wie Gesellschaft nicht gebe (“there is no such thing as society”) und betonte wiederholt, dass es Gesellschaft sehr wohl gebe, sie aber nicht mit dem Staat gleichzusetzen sei (“There is such a thing as society. It’s just not the same thing as the state.”).

Cameron setzte sich auch für einen Ausbau der gesetzlichen Krankenversicherung, einen Umbau des National Health Service und eine flexible Einwanderungspolitik ein.

Im Juli 2005 sagte er in einer Rede vor der Denkfabrik Zentrum für Soziale Gerechtigkeit, die größte Herausforderung, der sich Großbritannien stellen müsse, sei nicht die Bewältigung der wirtschaftlichen, sondern die Bewältigung der gesellschaftlichen Probleme. Cameron bezeichnete sein Konzept als Big Society. Um die „krankende Gesellschaft“ Großbritanniens wieder aufzubauen, wolle er traditionelle Werte, ehrenamtliche Arbeit und soziale Einrichtungen fördern. So sollten Probleme bekämpft werden, von denen so viele Gemeinden betroffen waren, wie heruntergekommene öffentliche Anlagen, schlechte Wohnverhältnisse, zerrüttete Familien, Drogenmissbrauch und hohe Kriminalität. Zuvor hatte er gesagt, die Konservativen sollten Kurse für Eltern unterstützen, die ihre Kinder nicht ausreichend fördern. Diese sollten vorzugsweise von ehrenamtlichen Mitarbeitern angeboten werden.

Camerons Erfolg bei der Wahl zum Vorsitz der Konservativen kann darauf zurückgeführt werden, dass ihm zugetraut wurde, frischen Wind in die Partei zu bringen, so wie Tony Blair (Premierminister 1997–2007) das seinerzeit in der Labour Party getan hatte. Nicht nur aufgrund seiner Jugend und Unerfahrenheit wurde Cameron wiederholt mit dem jungen Tony Blair verglichen; auch bei seinen rhetorischen Fähigkeiten, der Präsentation von Inhalten und in puncto Selbstdarstellung als unkonventioneller Politiker einer neuen Generation seien Parallelen zu Blair erkennbar. Beide haben Gemeinsamkeiten abgestritten, indem sie auf die Unterschiede ihrer politischen Überzeugung, beispielsweise hinsichtlich Europapolitik oder Steuerpolitik, hingewiesen haben.

Peter Hitchens (er gehört zum konservativen Flügel der Church of England) kritisierte 2005, Cameron habe die letzten Unterschiede zwischen seiner Partei und der etablierten Linken abgeschafft.[16]

Europäische Union

Im Zuge der Finanzkrise des EU-Mitglieds Griechenland vertrat Cameron nachdrücklich die Position, dass das Vereinigte Königreich (UK) nicht verpflichtet sei, Geld für Griechenland zur Verfügung zu stellen (außer durch den IWF), da das Vereinigte Königreich nicht dem Euro beigetreten sei.[17]

Nachdem er zunächst am Beginn seiner Amtszeit einen EU-Beitritt der Türkei unterstützt hatte,[18] distanzierte sich Cameron von diesem Standpunkt und äußerte 2016, ein Beitritt der Türkei in die Europäische Union werde „wahrscheinlich um das Jahr 3000 herum“ stattfinden.[19]

In einer Rede am 23. Januar 2013 kritisierte Cameron die hohen Schulden, die „mangelnde Konkurrenzfähigkeit“, die „Denkverbote“ und das „sinkende Vertrauen der Menschen in die Institutionen Brüssels“ und kündigte eine Neuverhandlung der britischen EU-Verträge und einen anschließenden Volksentscheid zum Verbleib Großbritanniens in der EU an.[20] Er betonte in seiner Rede allerdings auch die großen Errungenschaften der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Er schilderte (an die Adresse der britischen EU-Skeptiker gewandt) eindringlich die gravierenden Konsequenzen, die ein EU-Austritt für das UK haben würde und äußerte die Hoffnung, dass es nicht dazu kommen möge. Die Äußerungen stießen bei den Partnern in der EU ganz überwiegend auf Unverständnis; bei Europaskeptikern fanden sie vereinzelt Beifall.[21][22] In Großbritannien selbst wurde die Rede von Anhängern der Konservativen Partei sowie von Vertretern der UK Independence Party (UKIP) begrüßt, während sie von den Liberaldemokraten, u. a. deren Vorsitzenden und Minister im Kabinett Cameron I Nick Clegg, und führenden Labour-Politikern wie Peter Mandelson deutlich kritisiert wurde.

Der Historiker Dominik Geppert schrieb 2013, die negative Rezeption von Camerons Vorschlägen außerhalb seines eigenen Landes sei ein Indiz für den hohen emotionalen Gehalt der EU in anderen Staaten: „Unterschwellig fremdelten viele in Deutschland schon deswegen mit den Ausführungen des Premierministers, weil Cameron sich ausdrücklich dazu bekannte, die EU sei für die Briten eine praktische und keine emotionale Angelegenheit. Die Union sei ein Mittel zum Zweck von mehr Wohlstand, Stabilität, Freiheit und Demokratie in Europa, aber kein Ziel an sich. Jede Sakralisierung der europäischen Einigung ist den Briten fremd“.[23]

Multikulturalismus

In einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 5. Februar 2011[24] erklärte Cameron den „staatlichen Multikulturalismus“ für gescheitert, der zu Segregation, Separatismus und schließlich islamistischem Extremismus und Terrorismus geführt habe. Stattdessen plädierte er für eine „gemeinsame nationale Identität“.[25] Er forderte einen „aktiven und starken Liberalismus“ und kündigte an, gegen „islamistische, terrorfördernde Organisationen“ stärker vorzugehen.[26] Cameron hatte bereits im Februar 2006 deutliche Kritik an der Idee geübt, dass „wir innerhalb Britanniens unterschiedliche Kulturen in einem Maß respektieren sollten, dass wir ihnen erlauben – und sie sogar dazu ermutigen – getrennt voneinander zu leben, untereinander abgesondert und abgesondert vom Mainstream“ und diese Idee als „Staats-Multikulturalismus“ bezeichnet. Speziell kritisierte er dabei den Vorstoß von Rowan Williams, dem Erzbischof von Canterbury, der sich für eine Erweiterung der Schari’a innerhalb des britischen Rechtssystems ausgesprochen hatte, und er behauptete, dieser „Staats-Multikulturalismus“ habe zum Verschwinden von Schülerinnen in Bradford und deren Zwangsverheiratung geführt. Der „Staats-Multikulturalismus“ habe zu finanziellen Zuwendungen für künstlerische und andere Projekte aufgrund ethnischer Hintergründe geführt, wobei es verschiedene Gruppen gebe, die vorgäben bestimmte Minderheiten zu repräsentieren, dabei jedoch untereinander um Geld konkurrierten. Der „Staats-Multikulturalismus“ verführe die Leute dazu, verschiedene kulturell begründete Verhaltensweisen zu tolerieren, selbst wenn diese mit den Menschenrechten nicht vereinbar seien.[27]

Verwicklung in die Panama-Papers-Affäre

Anfang April 2016 gab Cameron in einem an der University of Exeter aufgezeichneten Fernsehinterview an, am Blairmore Investment Trust beteiligt gewesen zu sein. Die nach dem ehemaligen Familiensitz der Camerons in Schottland benannte Briefkastenfirma war von seinem verstorbenen Vater gegründet worden und wickelte in Steueroasen Firmenpapiere ab, um britische Steuern zu vermeiden. Der Name von Camerons Vater war in den sogenannten „Panama Papers“ aufgetaucht, deren Veröffentlichung unter anderem den isländischen Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson zum Rücktritt gezwungen hatte. Cameron gab an, er habe gemeinsam mit seiner Ehefrau bis Januar 2010 Anteile im Wert von etwa 30.000 Pfund (ca. 37.000 Euro) an dem Trust besessen, diese aber vor seinem Amtsantritt als Premierminister verkauft und versteuert. Einige Labour-Abgeordnete forderten seinen Rücktritt[28] und auch die britische konservative Presse kritisierte Camerons Aussagestrategien bezüglich seiner Beteiligung an der Briefkastenfirma.[29] Unter dem Druck der öffentlichen Meinung machte Cameron am 10. April 2016 seine Steuererklärungen aus den Jahren 2009 bis 2016 öffentlich.[30] Dabei wurde offenbar, dass er nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2010 neben einer Erbschaft von 300.000 Pfund Sterling ein Geschenk von 200.000 Pfund von seiner Mutter erhalten hatte. Als Erklärung hierfür gab Cameron an, dass diese Zahlung ein Ausgleich dafür gewesen sei, dass sein älterer Bruder das Familienhaus in Peasemore geerbt habe. Spekulationen kamen auf, dass damit möglicherweise die Zahlung von zusätzlicher Erbschaftssteuer vermieden worden sei; Steuerexperten äußerten aber, dass dieses Urteil ohne Kenntnis der Details nicht gerechtfertigt sei und dass beispielsweise das Geschenk auch aus dem Privatvermögen von Camerons Mutter erfolgt sein könne.[31]

Rückzug aus der aktiven Politik und danach

Am 12. September 2016 trat Cameron als Abgeordneter für den Wahlkreis Witney zurück. Als früherer Premierminister werde er nicht als einfacher Hinterbänkler im Unterhaus wahrgenommen. Er unterstütze zwar grundsätzlich voll die Politik seiner Amtsnachfolgerin Theresa May, wäre aber in den Angelegenheiten, in denen er eine andere Meinung vertrete, für die Regierung „eine ständige Ablenkung“ („a big distraction and a big diversion“), was er nicht sein wolle.[32] Er wurde zum Steward and Bailiff of the Manor of Northstead ernannt und verlor auf diese Weise seinen Sitz im Unterhaus.[33] Sein Nachfolger Robert Courts verteidigte den Wahlkreis Witney für die Conservative Party, jedoch bei deutlich reduzierter Mehrheit.[34] Am 16. Januar 2019 sagte Cameron in einem kurzen Interview mit der BBC, er bedaure es nicht, „das Referendum zum EU-Austritt veranlasst“ zu haben. Dies sei ein Wahlversprechen gewesen und alle Parteien hätten sich dafür ausgesprochen. Er bedaure aber sehr den Ausgang des Referendums und die Schwierigkeiten, die die Regierung bei dessen Umsetzung habe.[35]

Memoiren 2019

Am 15. September 2019 wurden erste Auszüge aus Camerons Memoiren in der Sunday Times veröffentlicht. In diesen Auszügen rechnete Cameron besonders mit einigen seiner ehemaligen politischen Weggefährten und Freunden ab.[36][37][38] Dies war zum einen der amtierende Premierminister Boris Johnson, zum anderen Vize-Premierminister Michael Gove, mit dem Cameron jahrelang eng befreundet war. Beide seien „Botschafter für das Zeitalter des Populismus, das mit der Negierung von Expertenmeinungen und Verzerrung der Wahrheit“ einhergehe. Johnson, so Cameron, habe sich der „Brexit“-Kampagne ausschließlich aus persönlichen Karrieregründen und nicht aus Überzeugung angeschlossen. Angesichts der vielen patriotisch-romantischen Bilder, die durch die Vertreter der Leave-Kampagne bemüht worden seien (Rückgewinnung der „Unabhängigkeit“ Großbritanniens) habe Johnson die Vorstellung nicht ertragen, dass jemand anders als er, gewissermaßen als Liebling der Konservativen Partei das Vereinigte Königreich aus der EU führen könnte. Johnson glaubte aber nicht an den Erfolg der Leave-Kampagne oder an den Brexit, sondern habe ihm gegenüber sogar ein zweites Referendum vorgeschlagen. Bei Michael Gove habe ihn [Cameron] vor allem dessen Illoyalität schockiert. Gove, den Cameron als „überschäumenden Faragisten“ bezeichnete, habe sich nicht nur illoyal ihm gegenüber verhalten, sondern später auch gegenüber Johnson, indem er selbst nach dem Premierministeramt strebte.

Literatur

  • David Cameron: For the Record. William Collins, London 2019. ISBN 978-1-78-517659-3.
  • Francis Elliott & James Hanning: Cameron: Practically a Conservative. Fourth Estate, London 2012. ISBN 978-0-00-743642-2.
  • Simon Lee & Matt Beech: The Cameron-Clegg Government: Coalition Politics in an Age of Austerity. Palgrave Macmillan, London 2011. ISBN 978-0-230-29644-2.
  • Anthony Seldon & Peter Snowdon: Cameron at 10: The Verdict. William Collins, London 2016. ISBN 978-0-00-757553-4.

Weblinks

Commons: David Cameron – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Francis Elliott & James Hanning: Cameron: Practically a Conservative. Fourth Estate, London 2012, S. 68.
  2. BBC News: The David Cameron story , 06. Dezember 2005.
  3. Francis Elliott & James Hanning: Cameron: Practically a Conservative. Fourth Estate, London 2012, S. 121.
  4. Thomas Kielinger: Trauer um toten Ivan: David Cameron ist an seinem Sohn gewachsen; Welt Online, 28. Februar 2009
  5. BBC: Let the people decide – Cameron, 3. Oktober 2007. Abgerufen am 13. Mai 2010.
  6. Cameron pressed on drugs question; BBC News 14. Oktober 2005
  7. Kai Beller: Nach der Parlamentswahl: Londoner Machtspiele eröffnet (Memento vom 8. Mai 2010 im Internet Archive); Financial Times Deutschland, 7. Mai 2010.
  8. BBC News: David Cameron is UK’s new prime minister, 11. Mai 2010.
  9. Brexit: David Cameron to quit after UK votes to leave EU. BBC News, 24. Juni 2016, abgerufen am 24. Juni 2016.
  10. David Cameron kündigt Rücktritt in drei Monaten. Großbritannien stimmt für den Brexit. In: rp-online.de. 24. Juni 2016, abgerufen am 22. Juni 2016.
  11. Guide to the Conservative leadership race: May v Leadsom. BBC News, 8. Juli 2016, abgerufen am 14. Juli 2016 (englisch).
  12. Theresa May set to be UK PM after Andrea Leadsom quits. BBC News, 11. Juli 2016, abgerufen am 14. Juli 2016 (englisch).
  13. Jokes, banter and a standing ovation at David Cameron's final PMQs. BBC News, 13. Juli 2016, abgerufen am 14. Juli 2016 (englisch).
  14. Jon Stone: David Cameron officially resigns as the UK Prime Minister. The Independent, 13. Juli 2016, abgerufen am 14. Juli 2016 (englisch).
  15. Alexandra Sims: David Cameron sits in Commons' backbenches for first time in 11 years. The Independent, 18. Juli 2016, abgerufen am 19. Juli 2016 (englisch).
  16. Peter Hitchens: The Tories are doomed; Kommentar in The Guardian, 14. Dezember 2005
  17. Tim Shipman: Not one penny more: Cameron vows he won’t let British taxpayers’ money be spent on another Greek bailout; Mail Online vom 21. Juni 2011 (en)
  18. Premier Cameron fordert EU-Beitritt der Türkei. 27. Juli 2010, abgerufen am 9. Februar 2019.
  19. Cameron sagt türkischen EU-Beitritt voraus - für das Jahr 3000. 22. Mai 2016, abgerufen am 9. Februar 2019.
  20. David Cameron speech: UK and the EU. 23. Januar 2013, abgerufen am 24. Januar 2013 (englisch, Video der Rede).
  21. Kommentare zum Spiegel-Online-Artikel Camerons EU-Rede: „Ich will einen besseren Deal für Großbritannien“ vom 23. Januar 2013.
  22. Europe divided over Cameron’s EU referendum plan. 24. Januar 2013, abgerufen am 24. Januar 2013 (englisch).
  23. Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro. Europa Verlag Berlin 2013 ISBN 978-3-944305-18-9 S. 177
  24. PM’s speech at Munich Security Conference (Memento vom 5. Februar 2011 im Internet Archive); Website des Büros des Premierministers, 5. Februar 2011
  25. Nach Merkel sagt auch Cameron, dass der Multikulturalismus gescheitert sei; (Memento vom 11. Februar 2011 im Internet Archive) Artikel auf euractiv.com vom 7. Februar 2011, aktualisiert am 22. Dezember 2011.
  26. Cameron: Multikulturalismus ist eine Ursache für Extremismus; Medienmagazin pro, 8. Februar 2011.
  27. Andrew Sparrow: Cameron attacks ‘state multiculturalism’; The Guardian, 26. Februar 2008
  28. Cameron und die Briefkastenfirma des Vaters: In Erklärungsnot bei tagesschau.de, 8. April 2016 (abgerufen am 8. April 2016).
  29. Panama Papers: Kritik an Premier Cameron: "Man hat nur eine Chance, ehrlich aufzuklären" spiegel.de, abgerufen am 8. April 2016
  30. Transparency data: Prime Minister’s schedule of taxable sources of income and gains: Summary and explanation of the Prime Minister’s tax affairs going back six years. www.gov.uk, 10. April 2016, abgerufen am 10. April 2016 (englisch).
  31. David Cameron's mother gave PM £200,000 gift. BBC News, 10. April 2016, abgerufen am 10. April 2016 (englisch).
  32. David Cameron quits as Conservative MP for Witney. BBC News, 12. September 2016, abgerufen am 12. September 2016 (englisch).
  33. Manor of Northstead: David Cameron. HM Treasury, 12. September 2016, abgerufen am 12. September 2016 (englisch).
  34. Witney by-election: Tory majority slashed in David Cameron's former seat. BBC News, 21. Oktober 2016, abgerufen am 21. Oktober 2016 (englisch).
  35. David Cameron: I don't regret calling EU referendum. BBC News, 16. Januar 2019, abgerufen am 17. Januar 2019 (englisch).
  36. David Cameron’s memoirs: ‘Boris and Michael behaved appallingly: ambassadors for the truth twisting age of populism’. 15. September 2019, abgerufen am 15. September 2019 (englisch, Subskription erforderlich).
  37. David Cameron: Boris Johnson backed Leave to 'help career'. BBC News, 15. September 2019, abgerufen am 15. September 2019 (englisch).
  38. David Cameron claims Boris Johnson 'didn't believe' in Brexit and had suggested a second referendum. The Telegraph, 15. September 2019, abgerufen am 15. September 2019 (englisch).