John Jay McCloy

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John Jay McCloy

John Jay McCloy (* 31. März 1895 in Philadelphia, Pennsylvania; † 11. März 1989 in Stamford, Connecticut) war ein US-amerikanischer Jurist, Banker, Lobbyist, Politiker und Präsidentenberater. McCloy war nach 1945 maßgeblich am politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Nachkriegsdeutschlands beteiligt. Auf Grund seiner engen Verflechtungen mit Politik und Wirtschaft galt McCloy als „Vorsitzender des amerikanischen Establishments“ und wurde vom renommierten Harpers Magazine als „einflussreichste Privatperson Amerikas“ bezeichnet.[1]

McCloy fungierte unter anderem als Offizier im Ersten Weltkrieg, als Rechtsberater der I.G. Farben, als Staatssekretär des US-Kriegsministers während des Zweiten Weltkrieges, war als Hoher Kommissar höchster Vertreter der alliierten Siegermächte in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland, war nach Eugene Meyer der zweite Präsident der neu gegründeten Weltbank, Vorstandsvorsitzender von Rockefellers Chase Manhattan Bank, Vorstand bei Mercedes-Benz Nordamerika, Gulf Oil, United Fruit Company, AT&T, Westinghouse Electric, dem Pharmakonzern E.R. Squibb & Sons, dem heutigen Mischkonzern Honeywell, sowie Vorstandsvorsitzender der Ford Foundation und Ehrenvorsitzender der privaten Denkfabrik zur Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik Council on Foreign Relations.

McCloy gründete 1952 mit dem deutsch-amerikanischen Bankier Eric M. Warburg den American Council on Germany und die Atlantik-Brücke.

Leben

1895 bis 1941: Ausbildung, Erster Weltkrieg und erste berufliche Stationen

John Jay Snader McCloy wurde am 31. März 1895 in Philadelphia als Sohn des Versicherungsangestellten John Jay McCloy und Anna May Snader McCloy geboren.[2] Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Er besuchte zunächst die Quäkerschule Maplewood, von 1907 bis 1912 die Peddie School in New Jersey, machte anschließend mit Hilfe eines Stipendiums seinen Schulabschluss auf dem renommierten privaten Amherst College und schrieb sich 1916 bei der Harvard University in die juristische Fakultät Harvard Law School ein. Die Universitätsausbildung musste er durch den Ersten Weltkrieg vorerst unterbrechen. 1917 wurde er Leutnant der US-Armee, ein Jahr später wurde er zum Hauptmann befördert. Von 1918 bis 1919 diente er dem Expeditionskorps American Expeditionary Forces in Frankreich und Deutschland. Nach der Rückkehr in die USA setzte er sein Studium unter seinem Lehrvater Felix Frankfurter in Harvard fort und erlangte 1921 einen Abschluss der Rechtswissenschaften. Während seines Harvard-Studiums verbrachte McCloy einige Zeit bei der mit ihm befreundeten Rockefeller-Familie und er lehrte David Rockefeller und dessen Brüder das Segeln.[3]

McCloys erster Chef: Ex-Justizminister George W. Wickersham

Nach seinem Studium begann McCloy im August 1921 seine Anwalt- und Bankerkarriere bei der 1792 gegründeten, ältesten Sozietät der USA, der prestigeträchtigen New Yorker Wirtschaftskanzlei Cadwalader Wickersham & Taft in Lower Manhattan. Im Dezember 1924 wechselte er zur ebenfalls reputierten Wall-Street-Kanzlei Cravath, Henderson & de Gerssdorff, heutzutage als Cravath, Swaine & Moore LLP eine der profitabelsten Anwaltskanzleien der Welt.

Kurz nach seinem Eintritt in die Kanzlei Cravath, Henderson & de Gerssdorff beteiligte diese sich mit der JP Morgan Bank an einem 110-Mio.-Dollar-Kredit an die damalige deutsche Regierung. Er reiste für die Investmentbank häufig nach Frankreich, Italien und Deutschland, da JP Morgan wie auch andere Wall-Street-Häuser Interesse am Wiederaufbau Europas hatten. Durch diesen intrigenreichen Arbeitsbereich wurde er tief in Industrie- und Militärspionage eingebunden und er lernte neben exotischen Orten unter anderem den Hauptverantwortlichen der deutschen Spionage Franz von Rintelen kennen.

Während McCloy mittlerweile als Sozius in der Pariser Dependance von Cravath, Henderson & de Gerssdorff arbeitete, heiratete er am 25. April 1930 die Deutsch-Amerikanerin Ellen Zinsser, eine Cousine von Konrad Adenauers Ehefrau Auguste Adenauer, geborene Zinsser. In den 1930er Jahren repräsentierte er als Firmenanwalt unter anderem die Rockefellers, den Weltbankier und Gründer der privatisierten US-amerikanischen Zentralbank FED Paul Warburg sowie die JP Morgan Bank, bei der sein Schwager John Zinsser mittlerweile im Vorstand saß.

Anschließend lebte er für ein Jahr in Italien und versorgte das diktatorische Regime des italienischen Staatsführers Benito Mussolini mit Krediten. Hauptaufgabe zu dieser Zeit war die Vergabe von umfangreichen Krediten an die Regierungen in Deutschland und Italien, bei der er in Verbindung mit deren faschistischen Führern stand. Neben Morgan und Rockefeller finanzierten DuPont, General Motors, IBM und Ford diese Länder und viele Kredite gingen direkt an das seinerzeit weltgrößte Chemieunternehmen I.G. Farben mit Hauptsitz in Frankfurt am Main. Die I.G.-Farben-Vertretungen in Nordamerika waren Kunden von Cravath Henderson & de Gerssdorff und McCloy war der Verbindungsmann nach Europa.[4]

Zwischen 1931 und 1939 bearbeitete McCloy für verschiedene Mandanten seiner Anwaltskanzlei den sogenannten Black-Tom-Fall, einen Sabotagefall aus dem Ersten Weltkrieg. McCloy erbrachte den Beweis, dass deutsche Geheimagenten für den Fall verantwortlich sind, woraufhin das Haager Schiedsgericht Deutschland zu einer Schadensersatzzahlung von 26 Millionen US-Dollar verurteilte, die bis 1979 abbezahlt wurden. Zwei Millionen US-Dollar wurden McCloys Mandanten Bethlehem Steel zugesprochen. Während der fast zehnjährigen Recherche zur Klärung des komplizierten Sachverhalts, reiste McCloy durch ganz Europa. Er verhandelte mit Nazi-Größen wie Rudolf Heß und Hermann Göring und war 1936 für einen Nachmittag Gast in Hitlers Privatloge bei den Olympischen Sommerspielen 1936.[5] Im Verlauf der Bemühungen um die Aufklärung des Black-Tom-Falls, erlangte McCloy tiefgehende Kenntnisse von subversiver Geheimdienstarbeit und Spionage. 1940 wurde McCloy als Experte für Gegenspionage ins US-Kriegsministerium berufen.[6]

1941 bis 1945: Staatsdienst im Zweiten Weltkrieg

Elihu Root

Zwischen 1941 und 1945 diente er als Unterstaatssekretär (Under Secretary) im US-Kriegsministerium unter Minister Henry L. Stimson. McCloy war durch seinen Mentor Elihu Root an Stimson vermittelt worden.[7] Von diesem wurde er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben betraut. Unter anderem beaufsichtigte McCloy die Planung des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten und verhandelte mit der US-Regierung über die Genehmigung dieses Projekts, er regelte die administrativen Einzelheiten des Ausbildungsprogramms der US-Army und half die Abteilung zu schaffen, die später die japanischen Geheimcodes entschlüsselte. Als Stimsons Verbindungsmann zum US-Außenministerium und zu den Joint Chiefs of Staff hatte er Einfluss auf die Außenpolitik sowie auf die Planung der meisten militär-strategischen Operationen an beiden Fronten. McCloy besuchte alle Kriegsschauplätze und arbeitete eng mit General George C. Marshall zusammen. Beide waren sich einig über eine Rassentrennung in der US-Army, und McCloy übernahme den Vorsitz im „Beratenden Ausschuß für Farbige in der Truppe“, dem sogenannten McCloy Committee. Im März 1944 empfahl das Komitee, vermehrt Einheiten mit schwarzen Soldaten an den Fronten einzusetzen, da McCloy von deren „kämpferischen Potential“ überzeugt war.[8]

In Algerien wirkte er bei der Gründung des französischen Komitees für die nationale Befreiung mit. Zu seinen Aufgaben gehörte auch das Programm zur Internierung von 120.000 US-Amerikanern japanischer Herkunft nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Noch in seiner Funktion als Staatssekretär gehörte McCloy zu einem kleinen Kreis von Personen die von der Absicht der US-Regierung erfuhr, Atombomben in Japan einzusetzen. Er sprach sich dafür aus, die japanische Bevölkerung vor den Atombombenabwürfen zu warnen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.[9] McCloy verfasste anschließend die Kapitulationsartikel für Japan.

Eisenbahnlinie zum KZ Auschwitz

Im November 1944 hatte McCloy für jenen Zeitpunkt die Bombardierung der Eisenbahnlinien, die zum KZ Auschwitz-Birkenau führten, für zu aufwändig gehalten und sich dagegen ausgesprochen. In späteren Berichten überlebender Häftlinge wurde bekannt, dass diese angesichts anderer Bombardierungen gehofft hatten, die Krematorien, Vergasungskammern und Zufahrtswege würden doch noch bombardiert und so dem Morden Einhalt geboten.[10][11][12]

McCloy (Mitte mit Hut und Tasche) landet zum Besuch der Potsdamer Konferenz

1944 gingen Kriegsminister Stimson und McCloy stellvertretend in heftige Opposition gegen die Pläne des regierenden US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und des US-Finanzministeriums unter dem Finanzminister Henry Morgenthau, den sogenannten Morgenthau-Plan. Dieser sah u. a. vor, Deutschland in einen nördlichen und südlichen Staat aufzuteilen, das Saarland sollte Frankreich zugesprochen werden, Ostpreußen und Schlesien sollte unter russischer bzw. polnischer Kontrolle gelangen. Die deutsche Regierung sollte dezentralisiert werden, alle Nazi-Verbrecher hingerichtet werden, das Ruhrgebiet als „Schmelztiegel der Kriege“ entindustrialisiert werden sowie eine Entnazifizierung aller Schulen, Universitäten, Zeitungen, Rundfunk durch eine alliierte Erziehungskommission.[6] McCloy verfasste für Kriegsminister Stimson ein Memorandum, die diese Art der Besatzungs- und Siegerpolitik u. a. als „ein Verbrechen gegen die Zivilisation an sich“ brandmarkte. Letztendlich wurde der Morgenthau-Plan auf Grund öffentlichen Drucks abgelehnt und Roosevelt ließ sich kurz nach der Konferenz von Québec von Stimson und McCloy überzeugen, die in der Direktive JCS 1067 mündete. Hauptziele dieser gemäßigten Direktive blieben Entnazifizierung und Entmilitarisierung. Roosevelt wollte McCloy 1945 als Hohen Kommissar nach Deutschland entsenden. Doch McCloy lehnte ab, und schlug seinerseits den erfahrenen General Lucius D. Clay für diesen Posten vor.[8] Ab April 1945 war McCloy als Leiter der „Abteilung für Zivilangelegenheiten“ (engl. Civil Affairs Division) im Kriegsministerium an der Besetzung Deutschlands beteiligt. McCloy nahm als Unterhändler an den Konferenzen von Casablanca, Kairo, San Francisco und Potsdam teil.

1945 bis 1952: Anwalt, Präsident der Weltbank, Hochkommissar in Deutschland

Im Anschluss an die Zeit als Staatssekretär kehrte er in seinen zivilen Beruf zurück und wurde 1945 Teilhaber der Anwaltskanzlei Milbank, Tweed, Hadley & McCloy, die mit den Rockefellers und der Chase Manhattan Bank verbunden war. Für die Kanzlei war er bis zu seinem Tode im Jahre 1989 hauptsächlich als Lobbyist im Ölgeschäft tätig.

Von 1947 bis 1949 wurde McCloy Nachfolger des erfolglosen Eugene Meyer als Präsident der 1946 gegründeten Weltbank, um den Ruf der Bank an der Wall Street zu etablieren und sie zu einem wirkungsvollen Instrument der Wirtschaftsdiplomatie der Regierung Truman aufzubauen. Als Weltbankpräsident stand er in ständigem Kontakt mit den Problemen der Nachkriegswirtschaftspolitik. Europas Industrie und Handel sollten wieder aufgebaut werden, Anreize zur Modernisierung gesetzt werden und es galt Kreditprobleme zu vermeiden.[13]

McCloy war vom 2. September 1949 bis 1. August 1952 amerikanischer Hochkommissar in Deutschland und damit Nachfolger des Militärgouverneurs General Lucius D. Clay. In dieser Position, die seine Talente als Diplomat und Manager forderte, residierte er zunächst noch in Bad Homburg vor der Höhe, später in der Villa Cappell in Bad Godesberg.[14] McCloy förderte in dieser Funktion die Umsetzung des Marshallplans und die Integration der Bundesrepublik in den Westen. Wie McCloy es bereits bei der Weltbank praktizierte, brachte er sein „Team“ mit nach Deutschland. Chauncey Parker, früherer Cravath-Anwalt und Weltbank-Berater wurde die Aufgabe übertragen, den Stab des Militärgouverneurs neu zu organisieren und zu reduzieren. Innerhalb weniger Monate schrumpfte das „Schattenkabinett“ auf einen kleinen Kreis von Beratern in den Schlüsselfragen Wirtschaft, Politik, Nachrichtendienste, militärische Sicherheit, Verwaltung und Recht zusammen. Einer der wichtigsten Berater war McCloys langjähriger Freund Benjamin Buttenwieser, Investmentbanker und Partner des New Yorker Bankhauses Kuhn, Loeb & Co., der zum „stellvertretenden Hochkommissar mit besonderer Verantwortung für finanzielle Fragen“ ernannt wurde. Leiter der Rechtsabteilung wurde der Professor der Harvard Law School Robert Bowie. Das „Amt für Öffentlichkeitsarbeit“ wurde 1950 Shepard Stone übertragen, einem renommierten Publizisten und Journalisten der New York Times und späteren Gründer des Aspen Instituts.[15]

Der Kriegsveteran McCloy, der im Ersten Weltkrieg kurz vor dem Waffenstillstand an Gefechten in der Gegend von Koblenz teilgenommen hatte, war nun erneut Teil einer amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland und sagte über diese Zeit: „Viele von uns, die während des Ersten Weltkriegs an der Besetzung Deutschlands beteiligt waren (…) hatten erfahren, wie bitter diese Besetzung war. Und wir alle hatten noch gut die Reparationsfrage, die Wiederbesetzung der Ruhr, die Schikanen, die Agitation und die Irritationen in Erinnerung, aus denen Hitler, als er an die Macht kam, so Kapital schlagen konnte.“

McCloy hatte die Vision, dass das vom Krieg verwüstete Deutschland eines Tages seine Rolle als starke europäische Macht wieder einnehmen werde und dieses neue Deutschland unter einer ordentlichen politischen Führung in der westlichen demokratischen Werteordnung neu erblühen werde. McCloy traf bei seiner Ankunft in Deutschland auf moralische und physische Trümmerfelder, und so begann er schnell, seine Vision in die Tat umzusetzen. Seine Aufgabe war es, wie es seine spätere Mitstreiterin bei der Gründung der Atlantik-Brücke, Marion Gräfin Dönhoff, formulierte, „tagtäglich Entscheidungen zu treffen, die auf Jahre hinaus die Entwicklung bestimmten“.

Einer der ersten Gäste McCloys in der neuen Residenz war der deutsch-jüdische Hamburger Bankier Eric M. Warburg. Warburg plädierte in einem Gespräch engagiert dafür, dass die Demontage der deutschen Industriebetriebe völlig eingestellt werden müsse, denn sonst könne nichts Gutes aus Nachkriegsdeutschland erwachsen. McCloy reagierte zunächst ablehnend, hat sich schließlich allerdings doch für den Demontage-Stopp von zwölf deutschen Industriekonzernen eingesetzt und verwirklicht.[16] „McCloy wurde in seinem Denken tiefstens von Eric M. Warburg beeinflusst, der 1938 aus Deutschland emigriert war und kurz darauf McCloy erstmalig begegnete“, so der Ehrenvorsitzende der Atlantik-Brücke und deutsche Diplomat Walther Leisler Kiep in seinem Buch Bridge Builder: An Insider’s Account of Over 60 Years in Postwar Reconstruction, International Diplomacy, and German-American Relation.[17]

McCloy setzte sich bereits früh für Strafprozesse anstatt Standgerichte gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher ein und wurde so ein Wegbereiter der Nürnberger Prozesse. Als höchster Vertreter der Alliierten begnadigte er allerdings wieder 89 der verurteilten Kriegsverbrecher, was zu heftigen Kontroversen führte, von Seiten McCloys jedoch als „Geste der Versöhnung“ ausgelegt wurde.

Alfried Krupp während des Prozesses
Von McCloy begnadigt: IG-Farben-Manager Fritz ter Meer

Am 31. Januar 1951 gab er die endgültigen Entscheidungen für die Gnadengesuche der in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher bekannt. Nach Beratungen mit dem Advisory Board on Clemency, dem sogenannten „Peck Panel“ entschied sich McCloy in mehreren Fällen für eine drastische Verkürzung der Haftstrafen der Kriegsverbrecher, was sogar Eleanor Roosevelt dazu hinriss, ihn zu fragen „wieso wir so viele Nazis befreien“. Die bekanntesten Begnadigungen sind die von Friedrich Flick, einem der größten finanziellen Unterstützer der NSDAP, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und dem I.G.-Farben-Vorstand und Mitverantwortlichen für die Errichtung des KZ Auschwitz III Monowitz, Fritz ter Meer. Darüber hinaus erhielten Flick und Krupp von Bohlen und Halbach auf McCloys Betreiben hin das gesamte 1945 konfiszierte Vermögen ihrer Firmen zurück. Dies war vor allem vor dem Hintergrund fraglich, dass es vornehmlich mit der Produktion von Rüstungsgütern und der Beschäftigung von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen, die daraufhin vielfach ausgezehrt in den Tod geschickt wurden, erwirtschaftet wurde. Mit einem Federstrich McCloys wurden so aus verurteilten Kriegsverbrechern zwei der reichsten Männer Europas. Letztendlich konnte Krupp durch dieses Urteil einer der wichtigsten Begründer und Nutznießer des deutschen Wirtschaftswunders werden.

In anderen Fällen versuchte McCloy eine juristische Verfolgung von Kriegsverbrechern gänzlich zu verhindern. Das prominenteste Beispiel hierfür ist wohl der gegen Ende des Krieges untergetauchte Klaus Barbie, der 1947 auf Grund seiner als Chef der Gestapo in Lyon durchgeführten Deportationen und Massenfolterungen in Abwesenheit von französischen Gerichten zum Tode verurteilt wurde. Auch im Zuge der Aufklärung weiterer Verbrechen, bei denen Barbie möglicherweise als Zeuge auftreten könnte, wurden an die Bundesrepublik Auslieferungsgesuche gestellt, welche allerdings von McCloy persönlich im Jahre 1950 unter dem Hinweis darauf zurückgewiesen wurden, dass „kontinuierliche Anstrengungen unternommen würden, ihn zu lokalisieren“. In Wirklichkeit jedoch stand Barbie seit 1947 auf der Gehaltsliste der amerikanischen Spionageabwehr Counter Intelligence Corps und erstattete McCloy regelmäßig Bericht über Aufenthaltsorte und Betätigungen – offiziell gesuchter – Kriegsverbrecher. Barbie, der vom CIC für spezielle, frankreichgerichtete Spionageaktivitäten eingesetzt wurde, ermöglichte man, von McCloy befürwortet, ebenso wie anderen SS-Männern wie Josef Mengele und Adolf Eichmann über die Rattenlinie eine Flucht nach Südamerika.[18][19]

Abseits dieses Kapitels wurden die deutsch-amerikanischen Beziehungen geprägt von McCloys Verständnis für die Aufgaben, die Deutschland in einer neuen Ära der Versöhnung und des Wiederaufbaus erwarteten. McCloy erkannte die entscheidende Bedeutung der Beziehung Deutschlands zu Frankreich und Westeuropa und die Chance der Vereinigten Staaten, friedliche und florierende transatlantische Beziehungen aufzubauen. Er entwickelte ein gutes Arbeitsverhältnis zu den deutschen Nachkriegspolitikern Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher.

Marshallplan-Direktor W. Averell Harriman

In Folge zäher Verhandlungen mit dem Hamburger Bürgermeister Max Brauer und Wilhelm Kaisen, Bürgermeister von Bremen, wurde am 4. April 1951 der deutsche Schiffbau freigegeben. Ab diesem Zeitpunkt war es der Bundesrepublik gestattet, ohne Einschränkung Schiffe aller Größen und Geschwindigkeiten zu fertigen. McCloy beschrieb die Verhandlungen, die zu dieser Entscheidung führten, in einem Bonmot: „Wenn ich Dante wäre, hätte ich die Hölle folgendermaßen beschrieben: Links von mir Mr. Kaisen, rechts von mir Mr. Brauer, und dann ein 24-Stunden-Gespräch über den deutschen Schiffbau.“[20]

McCloys Einsatz war insbesondere deshalb so effektiv, weil er das Vertrauen des US-Präsidenten genoss und ein ausgezeichnetes Verhältnis zum amerikanischen Heer sowie zum Geschäftsmann und Diplomaten W. Averell Harriman, dem Direktor des Marshallplans, hatte. Er benutzte seine fast diktatorische Macht, um in Deutschland Demokratie und die Wiederbelebung der Wirtschaft in jedem Detail voranzubringen, auch wenn er sich dabei manchmal auf politisch gefährlichem Grund bewegte. Insbesondere die aufgehobenen Urteile gegen die Familie Krupp, die während der Nürnberger Prozesse gefällt wurden, seien hier genannt. Während seiner Amtszeit trug er dazu bei, den Grundstein für „normalere“ Beziehungen zu legen, die die souveräne deutsche Regierung später mit der neuen US-Botschaft in Bad Godesberg fortführen sollte.

Jean Monnet zu Besuch bei Konrad Adenauer (1953)

Kultur und Bildung waren andere wichtige Anliegen McCloys. Unter seiner Führung widmete die Hohe Kommission jungen Menschen in Deutschland besondere Aufmerksamkeit. Während McCloys gesamter Amtszeit setzte er sich für ihre Entwicklung zu westeuropäischen Staatsbürgern ein, die über die Vereinigten Staaten gut informiert sein sollten. Die deutschen Universitäten, die in das nationalsozialistische System und seine ldeologie mit hineingezogen worden waren, bedurften nach amerikanischer Lesart einer gründlichen Neuausrichtung. Viele der Rektoren wurden aus ihren Ämtern entfernt, und die Lehre auf allen Ebenen fand unter amerikanischer und britischer Anleitung statt. Shepard Stone, ein Freund und Kollege McCloys, sowie Gründer des Aspen-Instituts Berlin, hatte ein besonderes Interesse an der Reform des deutschen Bildungswesens, und die Hohe Kommission unterstützte besonders die Freie Universität Berlin mit finanziellen Mitteln. Für die Gründung der Hochschule für Gestaltung Ulm waren, vermittelt durch Walter Gropius, amerikanische Stiftungen zentrale Geldgeber und Förderer. McCloy unterstützte die Initiative zur HfG-Gründung als Project No. 1. Die HfG sollte einen College-ähnlichen Campus nach US-Vorbild erhalten, damit die Hochschulangehörigen in freier Gemeinschaft Lehrender und Lernender zusammenleben konnten. John McCloy überreichte Gründungsmitglied Inge Scholl kurz vor seinem Abschied als Hochkommissar im Jahre 1952 einen Scheck über eine Million DM.[21]

Nach seiner Amtszeit als Hoher Kommissar war McCloy entscheidend daran beteiligt, eine ganze Reihe von Stipendien und Fellowships ins Leben zu rufen, die dazu beitragen sollten, über Jahrzehnte hinweg die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu festigen. Die Harvard University und die Columbia University waren an akademischen Fellowship-Programmen beteiligt. Weiterhin gab es Stipendien des American Council on Germany, einer Organisation, an deren Gründung McCloy und seine Frau Ellen McCIoy beteiligt waren.

Ebenso wichtig war, dass McCloy den ihm freundschaftlich verbundenen Jean Monnet dazu ermutigte, Deutschland wieder in die westliche Staatengemeinschaft einzugliedern. McCloy und Monnet kannten sich bereits aus frühen Jahren, als McCloy für die Anwaltskanzlei Cravath in New York arbeitete und hier auf Monnet traf, der seinerseits für die New Yorker Investmentbank William Blair & Co. arbeitete. Auch auf Grund Monnets Freundschaft zu US Außenminister John Foster Dulles kritisierte Frankreichs ehemaliger Staatspräsident de Gaulle Monnet einst, dass dieser „sein Handeln an Washington orientiere, nicht an Paris“.[22] McCloy initiierte Deutschlands Beitritt zur NATO, was nur ein Jahrzehnt nach dem Ende des verheerenden Krieges die Wiederbewaffnung Deutschlands bedeutete. Er setzte sich auch nachdrücklich für die amerikanische Zustimmung zum Schuman-Plan ein, der zur Bildung der Montanunion, der Europäischen Gemeinschaft und schließlich zur Europäischen Union führte.[23]

1952 bis 1989: Politikberatung, Chase Manhattan Bank und Warren Kommission

McCloy, Gründer der Atlantik-Brücke

Im Anschluss an seine Zeit als Hochkommissar gründete er 1952 mit seinem Freund Eric M. Warburg, den American Council on Germany und zeitgleich seine deutsche Schwesterorganisation, die Atlantik-Brücke.

Von 1952 bis 1965 war er zunächst Berater, dann ab 1953 Vorsitzender der Ford Foundation für Friedensfragen. Von 1953 bis 1960 war McCloy Vorstandsvorsitzender von Rockefellers Chase Manhattan Bank. In der Zeit von 1954 bis 1970 war er Vorstandsmitglied des US-amerikanischen Think Tanks Council on Foreign Relations in New York. Von 1972 bis 1987 war er Vorsitzender des American Council on Germany.[24]

McCloy (außen links), Mitglied der Warren Kommission zur Aufklärung des Attentats auf John F. Kennedy

1961 wurde er von John F. Kennedy als Sonderberater für Abrüstungsfragen berufen. Mit dem sowjetischen Unterhändler und ehemaligen Botschafter in der Bundesrepublik, Walerian Sorin, kam es zum Abschluss des McCloy-Sorin-Abkommens, das im Dezember 1961 von der UNO-Vollversammlung einstimmig angenommen wurde. Das Abkommen wurde in der Folge im Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags kodifiziert.

Von Präsident Johnson wurde er 1963 auch zum Mitglied der Warren-Kommission ernannt, die die Hintergründe des Attentats auf John F. Kennedy untersuchen sollte. Während er anfänglich erhebliche Zweifel an der Theorie des Einzeltäters anmeldete, die Verzögerungen bei den Ermittlungen und andere Unstimmigkeiten bemängelte, ließ er sich schließlich doch unter dem starken Einfluss von Allen W. Dulles dazu umstimmen, den abschließenden Bericht zu unterzeichnen. Den West-Berlin-Besuch Kennedys 1963 initiierte McCloy, nachdem er mit Chruschtschow Gespräche geführt hatte. Während der Kuba-Krise war er Mitglied des entsprechenden Koordinationskomitees.

McCloy pflegte enge und freundschaftliche Beziehungen zum Schah von Persien, Mohammad Reza Pahlavi, und versuchte in diesem Sinne Einfluss auf die Iranpolitik der USA in den 1970er-Jahren auszuüben. Im Spätherbst 1979 waren McCloy, David Rockefeller und Henry Kissinger Auslöser und Hauptdarsteller einer internationalen, weltweit umstrittenen Affäre. Sie hatten gemeinsam mit Rockefellers Beratern US-Präsident Jimmy Carter überredet, den schwer krebskranken Schah von Persien ins Land zu lassen, damit er sich in einem US-Hospital behandeln lassen konnte. Der Schah erreichte New York im Oktober 1979, und wurde umgehend ins Cornell Medical Center des NewYork-Presbyterian Hospital transportiert. Als dieser Umstand im Iran bekannt wurde, kam es daraufhin am 4. November 1979 zur Erstürmung der US-amerikanischen Botschaft in Teheran durch iranische Studenten und zur 444 Tage andauernden Geiselnahme von 52 US-Diplomaten, der sogenannten Geiselnahme von Teheran.[25]

John Jay McCloy verstarb kurz vor seinem 94. Geburtstag. Zu seiner Begräbnisfeier in der Presbyterianerkirche an New Yorks Park Avenue nahmen zahlreiche seiner Zeitgenossen teil. Unter ihnen Richard Nixon, David Rockefeller, Henry Kissinger, Cyrus Vance, Paul Volcker, Charles Mathias, James Baker, McGeorge Bundy, sowie die ehemaligen deutschen Politiker Helmut Schmidt und Karl Carstens.[26]

Sonstiges

von links: McGeorge Bundy, Lyndon B. Johnson und Wise Man John J. McCloy

Ehrungen

Literatur

  • Erika J. Fischer, Heinz-D. Fischer (Hrsg.): John J. McCloys Reden zu Deutschland- und Berlinfragen. Publizistische Aktivitäten und Ansprachen 1949-1952. Berlin-Verlag Spitz, Berlin 1986, ISBN 3-87061-318-1
  • Kai Bird: The Chairman: John J. McCloy - The Making of the American Establishment. Simon & Schuster, New York 1992, ISBN 0-671-45415-3
  • Walter Isaacson, Evan Thomas: The Wise Men: Six Friends and the World They Made: Acheson, Bohlen, Harriman, Kennan, Lovett, and McCloy. Simon & Schuster, New York 1986.
  • John Donald Wilson: The Chase: The Chase Manhattan Bank, N.A., 1945-85. Harvard Business School Press, Boston 1986.
  • Klaus Schwabe: Fürsprecher Frankreichs? John McCloy und die Integration der Bundesrepublik., In: Ludolf Herbst, Werner Bührer, Hanno Sowade (Hrsg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. Oldenbourg, München 1990, ISBN 3-486-55601-0
  • Thomas Alan Schwartz: Die Atlantik-Brücke. John McCloy und das Nachkriegsdeutschland. Ullstein, Frankfurt/Berlin 1992, ISBN 3-550-07512-X
  • Thomas Alan Schwartz: Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 3, 1990

Weblinks

Commons: John Jay McCloy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Minister without portfolio: The most influential private citizen in America. In: Harpers Magazine, Februar 1983
  2. Archiv des Amherst College
  3. Walther Leisler Kiep: Bridge Builder. An Insider’s Account of Over 60 Years in Postwar Reconstruction, International Diplomacy, and German-American Relation . S. 205
  4. Scott Christianson: The Last Gasp - The Rise and Fall of the American Gas Chamber. University of California, 2010, ISBN 0-520-25562-3, S. 126–129
  5. Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland, S. 24
  6. a b John McCloy. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
  7. John Jay McCloy. Harvard Kennedy School
  8. a b Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland, S. 29–32
  9. John J. McCloy, Lawyer and Diplomat, Is Dead at 93, The New York Times, 12. März 1989
  10. Stellungnahme von John J. McCloy zur Nichtbombardierung der Bahnlinien nach Auschwitz
  11. Why the allies didn’t bomb Auschwitz. In: The Guardian, 9. September 2009
  12. Michael J. Neufeld, Michael Berenbaum: The Bombing of Auschwitz: Should the Allies Have Attempted It? University Press of Kansas, 2003, ISBN 0-7006-1280-7
  13. Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland, S. 49/51
  14. Helmut Vogt: Wächter der Bonner Republik: Die Alliierten Hohen Kommissare 1949–1955. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004, ISBN 3-506-70139-8, S. 57/58
  15. Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland, S. 70
  16. Ludger Kühnhardt: Atlantik Brücke: 50 Jahre deutsch-amerikanische Partnerschaft, S. 24
  17. Walther Leisler Kiep: Bridge Builder.An Insider’s Account of Over 60 Years in Postwar Reconstruction, International Diplomacy, and German-American Relation. S. 205
  18. John J. McCloy. schoolnet.co.uk (englisch)
  19. Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher – John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg. (PDF; 1,7 MB) In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 3, 1990
  20. Uwe Bahnsen, Kerstin von Stürmer: Trümmer/Träume/Tor zur Welt Die Geschichte Hamburgs von 1945 bis heute. Sutton Verlag GmbH, Erfurt 2012, ISBN 978 3 95400 050 0, Seite 59
  21. Zur Vorgeschichte der HfG
  22. Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland. S. 21, 143, 155
  23. Christine Elder, Elizabeth G. Sammis (Red.): A Vision Fulfilled. 50 Jahre Amerikaner am Rhein. United States Embassy Bonn, 1999
  24. John J. McCloy. American Council on Germany
  25. David Rockefeller: Memoirs. Random House Trade Paperbacks, ISBN 0-8129-6973-1, S. 356–375
  26. Thomas Alan Schwartz: John McCloy und das Nachkriegsdeutschland