Opel Patentmotorwagen „System Lutzmann“
Opel | |
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Opel-Patentmotorwagen aus der Sammlung Opel Classic
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Patentmotorwagen „System Lutzmann“ | |
Produktionszeitraum: | 1899–1901 |
Klasse: | |
Karosserieversionen: | Phaeton, Vis-à-vis, Kastenwagen |
Motoren: | Ottomotor: 1,5 Liter (3,5 PS) |
Länge: | 2150 mm |
Breite: | 1440 mm |
Höhe: | 1350 mm |
Radstand: | 1350 mm |
Leergewicht: | 520 kg
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Nachfolgemodell | Opel 9 PS |
Der Opel Patentmotorwagen „System Lutzmann“ war das erste Automobil von Opel, das – nach der Übernahme der Anhaltischen Motorwagenfabrik des Automobilpioniers Friedrich Lutzmann – zwischen 1899 und 1901 in Rüsselsheim hergestellt wurde.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Unternehmen Opel war ein Hersteller von Nähmaschinen und Fahrrädern, das von Sophie Opel, der Witwe des Firmengründers, geführt wurde. Die ältesten Söhne Carl und Wilhelm waren Gesellschafter[1] – und daneben auch Mitbegründer des Mitteleuropäischen Motorwagenvereins,[2] der 1897 eine erste Automobilausstellung in Berlin veranstaltete. Aussteller dort waren Benz, Daimler, Kühlstein und Lutzmann,[3] der den am 30. September veranstalteten Fahrwettbewerb gewann[4] und damit die Aufmerksamkeit von Wilhelm und Fritz Opel erregte.
Die Opel-Brüder nahmen Kontakt mit dem Konstrukteur auf[5] und besuchten im Anschluss an die Ausstellung seine Fabrik in Dessau.[6] Sie hatten Interesse am Automobilbau, weil der Markt für Fahrräder zur Zeit der Jahrhundertwende (nach einem Boom und zahlreichen Unternehmens-Neugründungen) übersättigt war.[3][7] Zu einer zweiten Besichtigung in Dessau kam es 1898.[5]
Produktion bei Opel in Rüsselsheim
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Vertrag und Nachtrag wurden am 21. Januar 1899 unterschrieben[8][9][10] (nach anderen Angaben erwarb Opel die Fabrik Lutzmanns bereits im Herbst 1898).[6][11] Der Kaufpreis betrug 116 687 ℳ;[12] Friedrich Lutzmann wurde Direktor des Kraftwagenbaus[13] und erhielt ein Jahresgehalt von 8000 ℳ (6000 ℳ ab dem zweiten Jahr) sowie einen Bonus von 1 % des jährlichen Umsatzes.[12]
Der erste Opel-Patent-Motorwagen entstand in Rüsselsheim Anfang 1899.[11][12] Hierzu wurde die gesamte Produktion Lutzmanns aus Dessau dorthin verlegt.[6] Opel erwarb auch Maschinen, Werkzeuge, Material, und Lutzmanns Patente und Kundenstamm,[12] und ein großer Teil der Dessauer Arbeiter wurde übernommen,[6] allen voran der Werkmeister Sedlacek.[A 1][13] Neben den übersiedelten Dessauer Arbeitern wurden weitere aus dem Fahrradbau abgezogen.[8]
Zu den aus Dessau übernommenen Materialien gehörte auch ein fertiger Lutzmann Pfeil A.[8] Auch erste Werbeannoncen im Februar 1899 zeigten noch unveränderte Lutzmann-Pfeil-Modelle.[10]
Die Opel-Patentmotorwagen kosteten, je nach Modellvariante, um 2000 bis 3500 ℳ[11] und entstanden in weitgehender Handarbeit – von einer Serienfertigung konnte keine Rede sein.[7] Auch Sonderwünsche, beispielsweise nach Karbidlampen oder einem zusätzlichen Dienersitz, wurden erfüllt.[13] Opel gewährte sechs Monate Garantie.[14] Insgesamt wurden 65 Motorwagen ausgeliefert:[15] 11 im Jahr 1899, 24 Exemplare im Jahr 1900 und 30 im Jahr 1901.[7] Der Patentmotorwagen war damit kein wirtschaftlicher Erfolg für Opel.[7][16]
Ende der Zusammenarbeit mit Lutzmann
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zunehmend wurde offensichtlich, dass Lutzmanns Konstruktion veraltet war.[7] Nachdem es diesem nicht gelang, seinen Motorwagen zu modernisieren oder neue Modelle zu entwickeln,[16][17] erfolgte die Trennung 1901 nicht einvernehmlich.[7]
Um die Motorwagenfabrikation auszulasten, wurde 1901 die Produktion von Motorrädern bei Opel aufgenommen,[7][15][18] zunächst in Form einer Kopie der Laurin & Klement, dann mit Eigenkonstruktionen.[19] Nachdem ein Vertrag mit Renault bereits abgeschlossen war,[18][15] kam es wegen mangelnden Produktionskapazitäten[7] zu einer Kooperation mit Darracq. Opel wurde Generalimporteur für Deutschland und Österreich-Ungarn und stellte Karosserien auch selbst her.[18][7]
Konstruktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Konstruktion des Opel-Patentmotorwagens bestand aus einem Stahlrohrrahmen mit Holzaufbau und Starrachsen an halbelliptischen Blattfedern.[20] Gegenüber den in Dessau gebauten Pfeil-Modellen waren die Opel-Automobile vereinfacht und verzichteten auf die für den Kunstschlosser Lutzmann typischen „schmiedeeiserne Ornamente“.[10][6] Der Opel-Patentmotorwagen erhielt eine Achsschenkellenkung[11][21] statt der bisherigen fahrradähnlichen Achsgabel- oder Drehschemellenkung, und auch Fahrwerk und Rahmen wurden überarbeitet, um einen niedrigeren Schwerpunkt und dadurch ein besseres Fahrverhalten zu erreichen.[22]
Für den hinten in liegender Position eingebauten Motor[11] wurde nun Grauguss statt Schmiedestahl verwendet, zu dessen Bearbeitung aber eine spezielle Zylinderbohrmaschine angeschafft werden musste.[23][21] Er hatte ein automatisches Einlassventil[11] und leistete in der Variante mit 1,5 Litern Hubraum 3½ PS (ca. 2,5 kW) bei 650 /min – die Höchstdrehzahl betrug 800 /min.[20][11]
Der Antrieb erfolgte über Riemen auf eine Vorgelegewelle und von dort mittels Ketten auf die Hinterräder. Der Riementrieb ermöglichte zwei Übersetzungen und Leerlauf, der Wählhebel war an der Lenksäule angebracht.[11][16] Wahlweise konnte der Opel-Patent-Motorwagen mit einem dritten Gang ausgestattet werden.[23] Wie bei den bisherigen Lutzmann-Modellen gab es kein Differentialgetriebe, der nötige Geschwindigkeitsausgleich zwischen den angetriebenen Hinterrädern bei Kurvenfahrt geschah über einen Freilauf im Kettenantrieb.[24]
Der Opel-Patentmotorwagen hatte einen Tropföler[22] und elektrische Batteriezündung.[23] Zur Gemischbildung diente ein als Oberflächenvergaser ausgestalteter Benzintank.[22][11] Die Kühlung erfolgte nach dem Thermosiphon-Prinzip;[11] ein dezidierter Röhrenkühler nebst Wasserpumpe war erst später erhältlich.[6][23]
Der Motorwagen verfügte über zwei Bandbremsen, wobei die Handbremse auf das Vorgelege und die Fußbremse auf die Hinterräder wirkte.[16] Die Räder waren wie bei den Dessauer Modellen kugelgelagert, was seinerzeit nicht selbstverständlich war.[22][23] Serienmäßig war der Opel-Patentmotorwagen mit Vollgummireifen ausgestattet, Luftreifen („Pneumatics“) kosteten Aufpreis.[22][6][23]
Mit Ausnahme des „Geschäftswagens“ wurden nur offene Aufbauten angeboten; ein Verdeck war auf Wunsch erhältlich.[11] Das Auto wog etwa 450 bis 520 kg.[22]
Modellvarianten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine erste Produktbeschreibung erschien im Februar 1899:[23] angeboten wurden ein Zweisitzer mit 4 PS, ein Viersitzer mit 5 PS, ein Jagdwagen oder „Break“ mit Zweizylinder und 6 PS sowie ein Omnibus mit zehn Sitzen und 8-PS-Zweizylinder. Gegen Aufpreis sollten Zweizylinder-Motoren bis 20 PS erhältlich sein.
Den Zweizylindermotor wollte Lutzmann „erst noch weiterentwickeln“.[10] Soweit bekannt, entstanden in Rüsselsheim tatsächlich aber nur Einzylinder.[25]
Noch im selben Jahr wurde ein neuer, „realistischerer“[14] Katalog herausgebracht, der sechs Modelle zeigte, Fahrzeuge für zwei bis vier Personen mit 4 bis 8 PS (No. 1 bis 5) und einen „Gepäck-“ oder „Reklamewagen“ (No. 6) mit optional erhältlichem „Wechselaufbau“, wodurch er zu einem Personenwagen umgebaut werden konnte.[26] Dieses Fahrzeug wurde in der lokalen Presse als „Coloss von Rüsselsheim“ bezeichnet.[14][A 2]
Im farbigen Prospekt von 1900 erschienen vier Modellvarianten mit Motoren von 3½, 4, und 5 PS. Es handelte sich um einen einfachen Zweisitzer, ein Fahrzeug mit zusätzlichem Platz für ein Kind, das Modell „Duc“ für vier bis fünf Personen, und ein Modell mit variablem Gepäckaufbau.[11][14] Für 1901 wurde kein neuer Katalog mehr herausgebracht.[17]
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Heinrich Opel und Werkmeister Sedlacek (am Steuer) auf einem Opel-Patentmotorwagen im Jahr 1899
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Opel-„Geschäftswagen“
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Opel-Patentmotorwagen, Bj. 1899, aus der Sammlung Opel Classic
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Opel Patentmotorwagen mit geöffneter Motorhaube
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Opel-Rennwagen bei der Bergfahrt Heidelberg–Königstuhl 1901
Wettbewerbsfahrten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auf der Fernfahrt Aachen–Koblenz am 14. Mai 1899 fiel Heinrich Opel – mit einem Vorsprung von einer halben Stunde an erster Stelle liegend – mit einem Ausfall der Zündung aus. Am 2. Juli desselben Jahres, beim Rennen Frankfurt–Köln, gab es erneut Probleme mit der Zündung. Erstmals erfolgreich war der Opel-Patentmotorwagen am 14. Juli bei der Fernfahrt Mainz–Bingen–Koblenz–Mainz, wo Wilhelm Opel mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 27,4 km/h den fünften Platz in der Klasse über 350 kg erreichte.[14]
Am Sonntag, den 22. Oktober unternahmen Heinrich Opel und Beifahrer Sedlacek eine Fahrt über Flörsheim, Höchst und Oberursel und erklommen anschließend den Großen Feldberg.[14][27]
Beim ersten Internationalen Bahnrennen in Frankfurt am Main am 29. Juli 1900 nahm Anne Marie Lutzmann, die Ehefrau des Konstrukteurs, als „erste Opel-Werksrennfahrerin“ teil.[17][28]
Am 31. März 1901 gewannen Heinrich Opel und Werkmeister Sedlacek auf einem modifizierten Opel-Patentmotorwagen das Bergrennen auf den Königstuhl bei Heidelberg gegen 17 Konkurrenten und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 26 km/h.[11][15]
Erhaltene Fahrzeuge
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein Opel-Patentmotorwagen befindet sich heute in Besitz der Sammlung Opel Classic und ein weiterer im Deutschen Museum (beide Bj. 1899). Letzterer wurde in den 1960er Jahren umfangreich restauriert.[29] Mindestens ein weiteres Fahrzeug (Bj. 1900) befindet sich in Privathand.[30]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. Ein Pionier des Automobilbaus. Anhaltische Verlagsgesellschaft, Dessau 1999, ISBN 3-910192-61-0.
- Markus Bolsinger, Axel Lengert, Thomas Schulz: Opel. Mobilität mit Tradition. Heel, Königswinter 2000, ISBN 3-89365-883-1, S. 6–11.
- Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. In: Eckhart Bartels (Hrsg.): Jahrbuch Opel 2018. Podszun, Brilon 2017, ISBN 978-3-86133-868-0, S. 8–13.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Schnittbild auf wheelsage.org
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ auch Sedlazeck, Sedlazcek, Sedlazceck geschrieben
- ↑ „Gestern hatten wir Gelegenheit, einen Coloss von Motorfrachtwagen, welchen die hiesige Firma Adam Opel für ein größeres Weingeschäft baute, auf den verschiedenen Straßen unseres Ortes zu sehen.“ Main-Spitze vom 2. Juli 1899, zitiert nach: Adam Opel AG (Hrsg.): Pkw-Modellprogramm 1899-1995. S. 46.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 103.
- ↑ Heinrich Hauser: Opel. Ein deutsches Tor zur Welt. Hauserpresse, Frankfurt 1937, S. 88.
- ↑ a b Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 8.
- ↑ L. Scott Bailey (Hrsg.): Opel. Räder für die Welt. Automobile International Cooperations, 4. erweiterte Aufl., 1990, ISBN 0-915038-18-8, S. 16.
- ↑ a b Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 104 f.
- ↑ a b c d e f g L. Scott Bailey (Hrsg.): Opel. Räder für die Welt. Automobile International Cooperations, 4. erweiterte Aufl., 1990, ISBN 0-915038-18-8, S. 17.
- ↑ a b c d e f g h i Joachim Stange: Der erste echte Opel (= Opel – die ersten 40 Jahre. Teil 3). In: Der Zuverlässige. Clubmagazin der ALT-OPEL IG von 1972 e.V., Nr. 158, S. 1–6. (Online).
- ↑ a b c Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 109
- ↑ Markus Bolsinger u. a.: Opel. Mobilität mit Tradition. S. 7.
- ↑ a b c d Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 9
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Eckhart Bartels: Opel Fahrzeug-Chronik 1887–1996. Podszun, Brilon 1996, ISBN 3-86133-146-2, S. 15 f.
- ↑ a b c d Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 106
- ↑ a b c Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 111.
- ↑ a b c d e f Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 11.
- ↑ a b c d Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 13
- ↑ a b c d Markus Bolsinger u. a.: Opel. Mobilität mit Tradition. S. 10
- ↑ a b c Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 12.
- ↑ a b c L. Scott Bailey (Hrsg.): Opel. Räder für die Welt. Automobile International Cooperations, 4. erweiterte Aufl., 1990, ISBN 0-915038-18-8, S. 20.
- ↑ Jürgen Nöll: Opel Motorräder. Podszun, Brilon 2012, ISBN 978-3-86133-637-2, S: 19 ff.
- ↑ a b Adam Opel AG (Hrsg.): Pkw-Modellprogramm 1899-1995. S. 6.
- ↑ a b Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 110.
- ↑ a b c d e f Markus Bolsinger u. a.: Opel. Mobilität mit Tradition. S. 9.
- ↑ a b c d e f g Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 10
- ↑ L. Scott Bailey (Hrsg.): Opel. Räder für die Welt. Automobile International Cooperations, 4. erweiterte Aufl., 1990, ISBN 0-915038-18-8, S. 14.
- ↑ Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 10; dagegen aber L. Scott Bailey (Hrsg.): Opel. Räder für die Welt. Automobile International Cooperations, 4. erweiterte Aufl., 1990, ISBN 0-915038-18-8, S. 19.
- ↑ Eckhart Bartels, Bart Buts: Wie es begann. Die erste Opel kommen aus Dessau. S. 10 f.
- ↑ Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 124.
- ↑ Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 125.
- ↑ Manfred Riedel: Friedrich Lutzmann. S. 142–44.
- ↑ Unternehmen auf wiens.de