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„Willy Brandt“ – Versionsunterschied

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[[Bild:Willy-brandt-und-richard-nixon_1-588x398.jpg|thumb|29. Dezember 1971: Willy Brandt (links) und [[Richard Nixon]] bei einer gemeinsamen Presseerklärung]]
[[Bild:ErlerBrandtMcNamara1965.jpg|thumb|US-Verteidigungsminister [[Robert McNamara]] (rechts) im Gespräch mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden [[Fritz Erler]] (links) und Westberlins Regierendem Bürgermeister Brandt am 13. April 1965 in Arlington, Virginia, USA]]
'''Willy Brandt''' (* [[18. Dezember]] [[1913]] in [[Lübeck]]; † [[8. Oktober]] [[1992]] in [[Unkel]] am [[Rhein]]; Geburtsname ''Herbert Ernst Karl Frahm'') war ein [[Deutschland|deutscher]] [[Sozialdemokratie|sozialdemokratischer]] [[Politiker]].

Er war von 1957 bis 1966 [[Regierender Bürgermeister von Berlin]], von 1966 bis 1969 [[Auswärtiges Amt|Bundesaußenminister]] und [[Vizekanzler (Deutschland)|Stellvertreter des Bundeskanzlers]] sowie von 1969 bis 1974 [[Bundeskanzler (Deutschland)|Bundeskanzler]] der [[Bundesrepublik Deutschland]]. Für seine [[Ostpolitik]], die auf Entspannung und Ausgleich mit den osteuropäischen Staaten ausgerichtet war, erhielt er am 10. Dezember 1971 den [[Friedensnobelpreis]].

== Leben ==
[[Bild:Muenze_2dm_brandt.jpg|thumb|Rückseite der 2-[[DM]]-Münze: Willy Brandt]]
[[Bild:WillyBrandtHausLübeckStube.jpg|thumb|Nachempfundenes Arbeitszimmer des jungen Willy Brandt (damals Herbert Frahm) im [[Willy-Brandt-Haus Lübeck]]]]
Willy Brandt wurde im Dezember 1913 als Sohn von Martha Frahm (geborene Ewert), die Verkäuferin war, und John Möller in der Lübecker Vorstadt [[Lübeck-St. Lorenz|St.-Lorenz-Süd]] geboren. Seinen Vater, der während knapp anderthalb Jahren Realschullehrer in Lübeck war und der sich während Brandts Geburtsmonat, dem Dezember 1913 von dort wieder abmeldete, wurde nach 1933 aus dem Staatsdienst entlassen und arbeitete als Buchhalter in Hamburg, lernte er nie kennen. Sein leiblicher Vater John Möller lebte während seiner Lübecker Zeit, ebenso wie die Großeltern Thomas Manns in der Mengstraße. Damit ist die Mengstraße mit dem Buddenbrookhaus die einzige Straße der Welt, die die leiblichen Vorfahren zweier Nobelpreisträger beherbergte. Brandt wuchs bei seiner Mutter und seinem Stiefgroßvater Ludwig Frahm (1875-1934) auf, der Martha Ewert nach der Heirat mit deren Mutter Wilhelmine Ewert seinen Namen gegeben hatte.<ref>Brandts Mutter Martha Luise Wilhelmine Frahm wurde am 16. März 1894 unter dem Namen Ewert geboren. Ihre Mutter Wilhelmine Ewert brachte Martha im Alter von 19 Jahren nichtehelich zur Welt, 1896 bekam sie Ende 1896 ebenfalls nichtehelich den Sohn Ernst. Dessen Vater war Ludwig Frahm, der Wilhelmine Ewert zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes heiratete. Durch ''Einbennennung'' erhielt Martha den Namen des Ehemanns ihrer Mutter. (Nach Martin Wein: Willy Brandt - das Werden eines Staatsmannes, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003, S. 15-17. Dort heißt es: „''Laut Bescheinigung des Großherzogl. Justizministeriums vom 29. April 1900“, notierte Pastor Heinrich Krüger im Kalkhorster Kirchenbuch, „hat der Arbeiter Ludwig Frahm die Erklärung abgegeben, daß er dem von seiner Ehefrau Wilhelmine Ewert am 16. März 1894 außer der Ehe in Kalkhorst geborenen Kind Martha Luise Wilhelmine Ewert seinen Namen Frahm erteile''“). </ref> Willy Brandt, damals Herbert Frahm nannte seinen Stiefgroßvater ''Papa''. In seinem Abiturzeugnis wurde Ludwig Frahm als Vater genannt.<ref>Martin Wein: ''Willy Brandt - Das Werden eines Staatsmannes'' Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003</ref>

Seine nichteheliche Geburt, die vielfach von Zeitgenossen als Makel angesehen wurde, benutzten politische Gegner bis in sein Erwachsenenleben, um ihn herabzusetzen. Er wehrte sich nicht dagegen, doch bekannte er, "Herkunft und üble Nachrede" hätten ihm einen "Stachel eingepflanzt".<ref> Willy Brandt: ''Erinnerungen'', Ullstein-Taschenbuchausgabe, Frankfurt (Main), Oktober 1992, Seite 85</ref> Nach der Hochzeit seiner Mutter im September 1927 mit dem Maurerpolier Emil Kuhlmann und der Geburt des Sohnes Günter im Februar 1928 blieb Herbert bei seinem Stiefgroßvater und dessen zweiter Frau Dora. Ludwig Frahm gehörte der SPD an und kandidierte 1926 und 1929 auf der SPD-Liste für die Lübecker Bürgerschaft; Herbert war ab Herbst 1925 Mitglied der [[Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde|Kinderfreunde]], einer Kindergruppe der Falken, ab April 1929 der [[Sozialistische Arbeiter-Jugend|Sozialistischen Arbeiter-Jugend]] (SAJ), in der er als Mitglied der Lübecker Gruppe ''Karl Marx'' einen radikalen Kurs vertrat.

Er besuchte die St.-Lorenz-Knaben-Mittelschule, ab 1927 die Von Großheimsche Realschule und wechselte 1928 zum [[Johanneum zu Lübeck]], an dem er 1932 sein Abitur ablegte. Im Antrag auf Zulassung zum Abitur nannte er Journalist als Berufswunsch. Publizistisch betätigte er sich bereits als 13-Jähriger; der [[Lübecker Volksbote]], die örtliche SPD-Zeitung, druckte im Februar 1927 einen Aufsatz mit zwei Zeichnungen über eine Tageswanderung des Schülers mit Freunden zur [[Trave]]quelle ab. Regelmäßiger veröffentlichte er politische Texte von 1929 bis 1931 im Volksboten, von dessen Chefredakteur [[Julius Leber]] er später sagte, dieser habe ihn entscheidend beeinflusst.

1930 trat er der [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]] bei. Im Oktober 1931 brach er mit Leber und der SPD und schloss sich der [[Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (1931)|Sozialistischen Arbeiterpartei]] (SAP) an, einer linkssozialistischen Gruppe. Für ein Studium, für das Leber ihm ein Parteistipendium in Aussicht gestellt hatte, fehlten ihm die Mittel; er begann im Mai 1932 ein Volontariat bei der Schiffsmaklerfirma, Reederei und Spedition F. H. Bertling KG in Lübeck.
Nach [[Adolf Hitler|Hitlers]] Machtübernahme 1933 wurde die SAP verboten. Die Partei beschloss, im Untergrund gegen die [[Nationalsozialisten]] zu kämpfen. Willy Brandt erhielt im März 1933 den Auftrag, die Ausreise des SAP-Leitungsmitglieds [[Paul Frölich]] nach Oslo zu organisieren. Frölich wurde jedoch festgenommen, so dass Brandt dessen Aufgabe übernahm, in Oslo eine Zelle der Organisation aufzubauen. Brandt emigrierte über Dänemark nach Norwegen und begann 1934 in Oslo ein Geschichtsstudium, das er jedoch wegen seiner publizistischen Tätigkeit für norwegische Zeitungen und seines politischen Einsatzes wenig vorantrieb und nicht zu einem Abschluss brachte. In Oslo leitete er auch die Zentrale des SAP-Jugendverbandes [[Sozialistischer Jugend-Verband Deutschlands|SJVD]]. Ferner vertrat er den SJVD von 1934 bis 1937 beim ''Internationalen Büro revolutionärer Jugendorganisationen'' des [[Londoner Büro]]s.

Er legte sich 1934 den Decknamen Willy Brandt zu, den er ab 1947 auch offiziell übernahm. Er selbst sprach 1961 von einem Allerweltsnamen, den er gewählt habe, doch bestand in Lübeck, als er dort sein Volontariat absolvierte, eine Schiffsausrüsterfirma ''William Brandt Wwe.''<ref>Martin Wein: ''Willy Brandt - das Werden eines Staatsmannes'' Seite 86</ref>

Unter dem [[Deckname]]n Gunnar Gaasland kehrte er im Auftrag [[Jacob Walcher]]s von September bis Dezember 1936 als Student nach Deutschland zurück. Er hielt sich als [[Kriegsberichterstatter]] in Berlin auf und sprach dabei Deutsch mit norwegischem Akzent. Der richtige Gunnar Gaasland war seit 1936 mit Gertrud Meyer, Brandts Lübecker Jugendfreundin, verheiratet, die ihrem langjährigen Gefährten im Juli 1933 nach Norwegen gefolgt war. Die Ehe mit Gaasland bestand auf dem Papier, gab aber „Trudel“, die bis 1939 mit Brandt zusammenlebte, die norwegische Staatsangehörigkeit. Gaasland stellte Brandt seinen Namen zur Verfügung und blieb in Norwegen. Brandt war 1937 als Berichterstatter im [[Spanischer Bürgerkrieg|spanischen Bürgerkrieg]] tätig.

1938 wurde er von der [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Regierung [[Ausbürgerung|ausgebürgert]]. Deswegen bemühte er sich um die norwegische Staatsbürgerschaft. Während der deutschen Besetzung Norwegens im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] geriet er 1940 vorübergehend in deutsche Gefangenschaft. Da er aber bei seiner Ergreifung eine norwegische Uniform trug und nicht enttarnt wurde, konnte er nach seiner baldigen Freilassung nach Schweden fliehen. In Stockholm gründete er zusammen mit zwei schwedischen Journalisten ein Schwedisch-Norwegisches Pressebüro, das 70 Tageszeitungen in Schweden belieferte.
Im August 1940 wurde ihm die norwegische Staatsbürgerschaft von der Botschaft in Stockholm zugesprochen. Bis zum Ende des Krieges blieb er in Stockholm, wo er gemeinsam mit [[August Enderle]] federführend an der Wiederannäherung des SAP-Exils an die SPD mitarbeitete. Er lernte dort auch [[Bruno Kreisky]], den späteren österreichischen [[Bundeskanzler (Österreich)|Bundeskanzler]], kennen. Die beiden waren jahrelang freundschaftlich verbunden.

Brandt war von 1941 bis 1948 mit Carlotta Thorkildsen verheiratet und hatte mit ihr die gemeinsame Tochter Ninja (*&nbsp;1940). Nach der Scheidung heiratete er noch 1948 die verwitwete [[Rut Brandt|Rut Bergaust, geborene Hansen]] (*&nbsp;1920, †&nbsp;2006). Aus dieser Beziehung gingen drei Söhne hervor, [[Peter Brandt|Peter]] (*&nbsp;1948), [[Lars Brandt|Lars]] (*&nbsp;1951) und [[Matthias Brandt|Matthias]] (*&nbsp;1961). Nach 32&nbsp;Jahren Ehe ließen sich Rut und Willy Brandt 1980 scheiden. Am 9.&nbsp;Dezember 1983 heiratete Brandt die Historikerin und Publizistin [[Brigitte Seebacher-Brandt|Brigitte Seebacher]] (*&nbsp;1946).

1945 kehrte Brandt als [[Korrespondent]] für skandinavische Zeitungen nach Deutschland zurück und berichtete über die [[Nürnberger Prozesse]]. Nachdem er am 20. Mai 1946 mit einer Rede in Lübeck über ''Deutschland und die Welt'' Zustimmung der dortigen Sozialdemokraten erfahren hatte, stand im Sommer 1946 nach einem Gespräch mit [[Theodor Steltzer]] Brandts Rückkehr nach Lübeck zur Diskussion. Er sollte als Nachfolger von [[Otto Passarge]] Bürgermeister seiner Mutterstadt, wie er Lübeck nannte, werden. Nachdem ihm der norwegische Außenminister Halvard Lange vorschlug, als Presseattaché an die norwegische Militärmission nach Berlin zu gehen und der norwegischen Regierung aus der Stadt vom beginnenden Kalten Krieg zu berichten, entschied er sich gegen seine Geburtsstadt, denn ''Lübeck kam mir ein wenig eng vor'' nach seinen internationalen Erfahrungen seit der Emigration.<ref>Willy Brandt: ''Erinnerungen'', erweiterte Ullstein-Taschenbuchausgabe 1992, Seite 148</ref> Seiner Geburtsstadt blieb Brandt jedoch eng verbunden. So schloss er Wahlkämpfe bis hin zu Kommunalwahlkämpfen stets am Vortag der Wahl mit einer Kundgebung in Lübeck ab.

Am 1. Juli 1948 erhielt er von der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. 1949 ließ er sich seinen Decknamen Willy Brandt als offiziellen Namen vom [[Der Polizeipräsident in Berlin|Polizeipräsidium Berlin]] anerkennen.

== Politische Karriere ==
=== Berlin ===
[[Bild:John F. Kennedy meeting with Willy Brandt, March 13, 1961.jpg|thumb|Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt (re.), zusammen mit dem US-amerikanischen Präsidenten, [[John F. Kennedy]] (li.) in Washington im [[Weißes Haus|Weißen Haus]], 13. März 1961]]
Seine politische Karriere im Nachkriegsdeutschland begann 1949 als Berliner Abgeordneter für die SPD im ersten [[Deutscher Bundestag|Deutschen Bundestag]]. Insgesamt gehörte Brandt dem Bundestag von 1949 bis 1957, von 1961 bis zum 27.&nbsp;Dezember 1961 und von 1969 bis zu seinem Tode im Jahre 1992, also insgesamt 31&nbsp;Jahre lang, an. 1950 wurde er auch Mitglied des [[Abgeordnetenhaus von Berlin|Abgeordnetenhauses von Berlin]]. Er legte dieses Mandat erst am 6.&nbsp;April 1971, also knapp zwei Jahre nach seiner Wahl zum [[Bundeskanzler (Deutschland)|Bundeskanzler]], nieder.

1955 wurde Willy Brandt in der Nachfolge [[Otto Suhr]]s Präsident des [[Abgeordnetenhaus von Berlin|Berliner Abgeordnetenhauses]]. 1957 wurde er, ebenfalls in der Nachfolge Otto Suhrs, zum [[Regierender Bürgermeister von Berlin|Regierenden Bürgermeister]] gewählt. In diesem Amt erlangte Brandt aufgrund seines entschlossenen Handelns während des [[Berlin-Ultimatum]]s (1958) und nach dem [[Mauerbau]] 1961 große Popularität.

Diese Popularität schlug sich auch in den Ergebnissen der Berliner SPD bei den Wahlen zum Berliner [[Abgeordnetenhaus]] nieder: [[Wahlen in Berlin|1958]] steigerte sich die SPD um 8,0 Prozentpunkte auf 52,6&nbsp;% der Stimmen, [[Wahlen in Berlin|1963]] erreichte sie mit 61,9&nbsp;% der Stimmen das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte.

Er blieb bis zum 30.&nbsp;November 1966 Regierender Bürgermeister. Vom 1.&nbsp;November 1957 bis zum 31.&nbsp;Oktober 1958 war Brandt gleichzeitig [[Bundesratspräsident (Deutschland)|Bundesratspräsident]].

Von 1958 bis 1963 war er Landesvorsitzender der SPD Berlins.

=== In der Bundespolitik 1961–1969 ===
[[Bild:Richard_Nixon_in_Berlin.jpg|thumb|27.&nbsp;Februar 1969: Besuch Nixons in Berlin]]
Bei der [[Bundestagswahl 1961]] trat Brandt erstmals als Kanzlerkandidat seiner Partei gegen den damals 85 Jahre alten [[Konrad Adenauer]] an. Im Wahlkampf wurde Brandt häufig mit dem jugendlich wirkenden charismatischen US-Präsidenten John F. Kennedy verglichen. Adenauer spielte am 14. August 1961, einen Tag nach Beginn des Mauerbaus in Berlin, bei einer Wahlveranstaltung in Regensburg, als er von seinem Gegenkandidaten als ''Brandt alias Frahm'' sprach, auf dessen Jahre im Exil an, doch wurde der Ausdruck auch als Hinweis auf seine nichteheliche Geburt verstanden. Am 16. August benutzte Adenauer diese Formulierung in Bonn noch einmal. [[Franz Josef Strauß]] hatte bereits im Februar 1961 in Vilshofen unter Anspielung auf Brandts Exiljahre, die immer wieder zum Anlass für persönliche Angriffe bis hin zum Vorwurf des Vaterlandsverrats genutzt wurden, gesagt: „Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“<ref>Peter Merseburger: ''Willy Brandt, 1913–1992. Visionär und Realist'', Stuttgart 2002, ISBN 3-423-34097-5, S.&nbsp;410</ref>

Die SPD legte bei der Wahl mit 4,4 Prozentpunkten auf 36,2 Prozent der Wählerstimmen deutlich zu. Zur Regierungsübernahme kam es nicht, obwohl eine Koalition mit den 12,8 Prozent der FDP rechnerisch möglich gewesen wäre. Ein Gespräch Brandts mit [[Erich Mende]] führte zu keinem Ergebnis. Die absolute Mehrheit der CDU war jedoch gebrochen, sie verlor 4,8 Prozentpunkte.

1962 übernahm Brandt auf Initiative von [[Herbert Wehner]] den stellvertretenden Parteivorsitz,<ref name="merseburger_429">Peter Merseburger: ''Willy Brandt, 1913–1992. Visionär und Realist.'', Stuttgart 2002, ISBN 3-423-34097-5, S.&nbsp;429</ref> 1964 als Nachfolger des verstorbenen [[Erich Ollenhauer]] den Bundesvorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, den er bis 1987 innehatte. Bei der [[Bundestagswahl 1965]] unterlag er Bundeskanzler [[Ludwig Erhard]], woraufhin er sich enttäuscht vorübergehend von der Bundespolitik zurückzog und eine weitere Kanzlerkandidatur ausschloss.

In dieser Zeit war er der am meisten umstrittene (und beschimpfte) Politiker der Republik. Besonders erbitterte es ihn, dass er wegen seiner antifaschistischen Vergangenheit diffamiert wurde, während Ex-Nazis deren Vergangenheit verziehen wurde. „Dieser Wahlkampf hat Wunden hinterlassen“, sagte er 1965.

Nach Erhards Rücktritt 1966 wurde [[Kurt Georg Kiesinger]] (CDU) zum Bundeskanzler gewählt, der eine [[Große Koalition]] mit der SPD bildete. Willy Brandt trat von seinem Berliner Amt zurück und übernahm das Amt des [[Außenminister]]s und [[Vizekanzler (Deutschland)|Vizekanzlers]].

=== Bundeskanzler ===

==== Kabinett Brandt I (1969–1972) ====
Nach der [[Bundestagswahl 1969]] bildete Willy Brandt gegen den Willen von Herbert Wehner und [[Helmut Schmidt]], die eine Fortsetzung der großen Koalition vorgezogen hätten, eine Koalition mit der [[Freie Demokratische Partei|FDP]]. Die [[sozialliberale Koalition]] verfügte lediglich über eine Mehrheit von zwölf Stimmen. Der Bundestag wählte Brandt zum vierten [[Bundeskanzler (Deutschland)|Bundeskanzler]] in der Geschichte der Bundesrepublik. [[Vizekanzler]] und Außenminister wurde [[Walter Scheel]] (FDP).

Brandts Amtszeit ist verbunden mit dem Stichwort der [[Ostpolitik]], die den [[Kalter Krieg|Kalten Krieg]] unter der Losung „Wandel durch Annäherung” bzw. „Politik der kleinen Schritte” abmindern und die [[Berliner Mauer]] durchlässiger machen sollte.

Der ''[[Kniefall von Warschau]]'' (1970) am Mahnmal des [[Warschauer Ghetto|Ghetto]]-Aufstandes von 1943 leitete symbolisch die [[Entspannungspolitik]] ein, die in den sogenannten [[Ostverträge]]n mit [[Polen]] und der [[Sowjetunion]] mündete. Hinzu kam später der [[Grundlagenvertrag]] mit der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]]. 1970 hatte er sich in [[Erfurt]] mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR [[Willi Stoph]] erst zum ersten deutsch-deutschen [[Erfurter Gipfeltreffen|Gipfeltreffen]] im ''[[Erfurter Hof]]'', dann in Kassel getroffen. Es folgte ein Abkommen mit der [[Tschechoslowakei]]. Dafür erhielt Brandt 1971 den [[Friedensnobelpreis]].

[[Bild:DSC01169.JPG|thumb|[[Faksimile]] im Bundeskanzleramt von Willy Brandts Urkunde für den [[Friedensnobelpreis]] 1971]]
Mit dieser sogenannten „Neuen [[Ostpolitik]]”, die Willy Brandt gemeinsam mit [[Walter Scheel]] gegen den entschiedenen Widerstand der Mehrheit der CDU/CSU-Opposition durchsetzte, bemühte er sich um eine „Entspannung in Europa“.

Einige Geschichts- und Politikwissenschafter sehen darin heute eine Wegbereitung für den Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen in [[Osteuropa]] und die [[Deutsche Wiedervereinigung|Wiedervereinigung]] Deutschlands, die von Brandt mit seiner Ostpolitik jedoch nicht beabsichtigt war. Seinerzeit wurde ihm von konservativer Seite vorgeworfen, damit eine unnötige Anerkennung der DDR betrieben zu haben. Sie sahen die Entspannungspolitik nicht als Weg zum Zusammenbruch der Staaten des Ostblocks, sondern konstatierten im Ergebnis einzig eine Aufwertung der Regierungen.

Gleichzeitig ging es ihm um innenpolitische Reformen in der Sozial-, Bildungs- und Rechtspolitik. „Mehr Demokratie wagen” war das [[Slogan|Motto]], mit dem Brandt die innenpolitische Stagnation der Nachkriegszeit überwinden wollte. Auch aufgrund der [[Ölkrise]] von 1973 infolge des israelisch-arabischen [[Jom-Kippur-Krieg]]es sind diese Reformen nur teilweise realisiert worden. Besonders der sogenannte „[[Radikalenerlass]]“ gegen Extremisten im öffentlichen Dienst, der 1972 eingeführt wurde, ist bis heute bekannt geblieben. Er wird bis heute von Kritikern auf der Linken scharf kritisiert und auch Brandt selbst hat ihn später als schweren Fehler bezeichnet.

==== Misstrauensvotum und Vertrauensfrage (1972) ====
Seit Amtsantritt der Regierung Brandt hatten bis zum Jahr 1972 so viele Abgeordnete der SPD und der FDP zur [[Unionsparteien|Unionsfraktion]] gewechselt, darunter der ehemalige Bundesminister [[Erich Mende]], dass die CDU/CSU-Fraktion rechnerisch über eine knappe absolute Mehrheit verfügte. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende [[Rainer Barzel]] glaubte daher im April 1972, Willy Brandt mittels eines [[Konstruktives Misstrauensvotum (Deutschland)|konstruktiven Misstrauensvotums]] ablösen zu können. Doch für seine Wahl zum Bundeskanzler fehlten ihm bei der Abstimmung zwei Stimmen. Später wurde bekannt, dass die DDR mindestens einen Abgeordneten ([[Julius Steiner]]) der CDU bestochen hatte. Mittlerweile ist durch die [[Rosenholz-Dateien|Rosenholz-Akten]] auch der zweite Abgeordnete aus den Reihen der CSU bekannt. [[Leo Wagner]] erhielt von der Staatssicherheit 50.000&nbsp;DM.
Da allerdings auch die SPD/FDP-Koalition im Bundestag über keine handlungsfähige Mehrheit mehr verfügte, stellte Brandt im September 1972 die [[Vertrauensfrage]], bei welcher sich absprachegemäß die Bundesminister enthielten, so dass die Vertrauensfrage negativ beantwortet wurde und [[Bundespräsident (Deutschland)|Bundespräsident]] [[Gustav Heinemann]] auf Antrag Brandts den Bundestag auflöste.

==== Kabinett Brandt II (1972–1974) ====

Bei den [[Bundestagswahl 1972|Neuwahlen im November 1972]] wurde die Regierung Brandt bestätigt und verfügte nunmehr über eine handlungsfähige Mehrheit im Bundestag. Die SPD wurde mit 45,8&nbsp;% der Stimmen erstmals stärkste Bundestagsfraktion, ein Ergebnis, das auch im Ausland als Volksabstimmung über die [[Ostverträge]] verstanden wurde, für deren parlamentarische [[Ratifizierung]] jetzt der Weg frei war.

Am 7.&nbsp;Juni 1973 besuchte Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler [[Israel]], nachdem 1965 die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufgenommen worden waren. Bereits 1970 hatte mit [[Abba Eban]] erstmals ein israelischer Außenminister die Bundesrepublik besucht, der Gegenbesuch durch Außenminister Walter Scheel war im selben Jahr erfolgt.

==== Rücktritt infolge der Guillaume-Affäre ====

Die gewonnene Bundestagswahl 1972 stellte zwar den politisch größten Erfolg Brandts dar, jedoch sind sich zeitgenössische Beobachter wie [[Egon Bahr]] darin einig, dass dieser „Höhepunkt eindeutig auch der Scheitelpunkt war – von da an ging es bergab“.<ref>Egon Bahr in seinen Erinnerungen</ref>

Politische Ermüdungserscheinungen Brandts paarten sich mit überhöhten Erwartungen an seine zweite Regierungszeit.

Dennoch kam sein Rücktritt für die Öffentlichkeit überraschend, wobei die [[Guillaume-Affäre]] wohl eher der Auslöser als die Ursache für Brandts Rücktritt war. Als Ursachen werden auch die [[Ölkrise]] und der damit verbundene Wirtschaftsabschwung sowie die nach einem harten Streik im Öffentlichen Dienst von der [[ÖTV]] unter [[Heinz Kluncker]] durchgesetzten hohen Tarifabschlüsse angesehen. Beides verringerte den Spielraum für mögliche Reformen und belastete Brandt auch seelisch.

Am Ende einer turnusmäßigen Zusammenkunft von SPD und Gewerkschaftsspitzenfunktionären in der [[Kurt-Schumacher-Akademie]] in Bad Münstereifel am 4. und 5.&nbsp;Mai erklärte Brandt in einem auf den 6.&nbsp;Mai 1974 datierten handschriftlichen Brief seinen Rücktritt, der vom NDR am folgenden Tag publik gemacht wurde. Anlass war die Enttarnung des DDR-Spions [[Günter Guillaume]], der als Referent für Parteiangelegenheiten einer der engsten Mitarbeiter von Brandt gewesen war. Brandt übernahm mit seinem Rücktritt Verantwortung für Fahrlässigkeiten innerhalb der Bundesregierung. Guillaume war in unmittelbarer Nähe des Kanzlers geblieben, obwohl er seit mehr als einem Jahr im Verdacht stand, Spionage zu betreiben. Brandt hatte im Glauben, Guillaumes DDR-Herkunft sei der Grund für den [[Spionage]]verdacht gewesen, die Brisanz der Angelegenheit unterschätzt und ihr entsprechend wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die Diskriminierung von DDR-Bürgern, die wie Guillaume in die Bundesrepublik übergesiedelt waren, war damals nicht ungewöhnlich. Brandt behauptete später, [[Herbert Wehner]] sei an seinem Rücktritt mitschuldig gewesen, da dieser ihn davon nicht abgehalten hatte. Beide blieben im Zentralvorstand der SPD und hatten fortan zahlreiche Unstimmigkeiten. Ein weiterer Kontrahent im Kabinett Brandt&nbsp;II war Helmut Schmidt, damals Finanzminister.

Trotz gegenteiliger Beteuerungen Wehners wird allgemein angenommen, dass weniger die Affäre an sich, als vielmehr Wehners Einschätzung, der gesundheitlich angeschlagene, unter Depressionen leidende Brandt sei nicht zu halten, den Ausschlag zum Rücktritt gaben. Brandt sah sich längst üblen Diffamierungskampagnen von politischen Gegnern ausgesetzt, denen er nach Einschätzung Wehners im bevorstehenden Wahlkampf kaum standgehalten hätte. Dass der scheidende Kanzler angeblich eine Schwäche für das weibliche Geschlecht hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Ihm wurden zahlreiche Affären mit Frauen und Alkoholprobleme untergeschoben. Zudem bestanden unter anderem bei [[Horst Herold]] und [[Günther Nollau]] Befürchtungen, der deutsche Regierungschef könnte durch diese Affären erpressbar werden. Zusammen mit der Brandt unterstellten Amtsmüdigkeit und der seit einiger Zeit schwelenden Kritik – Wehner hatte Brandt während seiner Moskaureise öffentlich mit den Worten „Der Herr badet gerne lau“ angegriffen – soll dies für Wehner Grund gewesen sein, den Wechsel des SPD-Kanzler schnell und unsentimental zu vollziehen. Nachfolger Brandts als Bundeskanzler wurde [[Helmut Schmidt]], den Wehner mit den Worten „Helmut, Du musst das jetzt machen“ dazu aufgefordert haben soll. Schmidt will von der Nominierung überrascht gewesen sein und das Amt vorrangig aus Pflichtgefühl übernommen haben. Willy Brandt selbst blieb aber SPD-Vorsitzender. Zum Ende seiner eigenen Kanzlerschaft bezeichnete Schmidt es als Fehler, neben der Kanzlerschaft nicht auch den Parteivorsitz übernommen zu haben. Er sah hierin eine der Ursachen für sein eigenes Scheitern.

=== Nach dem Rücktritt als Bundeskanzler ===
[[Bild:W.brandt.JPG|thumb|Willy Brandt in Dortmund, ca.&nbsp;1987]]
Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers blieb Brandt politisch aktiv: [[1976]] wurde er Präsident der [[Sozialistische Internationale|Sozialistischen Internationale]] (bis zum 15.&nbsp;September 1992), 1979 Mitglied des [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlaments]] (bis zum 1.&nbsp;März 1983).

Im April 1977 trug [[Weltbank]]präsident [[Robert McNamara]] Brandt den Vorsitz der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ ([[Nord-Süd-Kommission]]) an. Nach fast drei Jahren Beratungen legte die Kommission am 12.&nbsp;Februar 1980 in [[New York City|New York]] ihren [[Nord-Süd-Bericht]] vor, der allgemein als „Brandt-Report“ bekannt wurde.

Am 15.&nbsp;November 1978 erlitt Brandt einen [[Herzinfarkt]], so dass er seine politischen Aufgaben vorübergehend nicht mehr wahrnehmen konnte.

Am 7.&nbsp;Juli 1979 kamen Brandt und der österreichische Bundeskanzler [[Bruno Kreisky]] in Wien mit [[Jassir Arafat]], dem Chef der palästinensischen [[PLO]], zu einem Meinungsaustausch zusammen. Am 15.&nbsp;Oktober 1984 traf Brandt sich auf [[Kuba]] mit Staatspräsident [[Fidel Castro]]. Im selben Jahr traf Brandt sich auch mit [[Deng Xiaoping]] und [[Michail Sergejewitsch Gorbatschow|Michail Gorbatschow]]. Am 19.&nbsp;September 1985 kam er in [[Ost-Berlin]] zu Gesprächen mit dem DDR-[[Staatsratsvorsitzender|Staatsratsvorsitzenden]] [[Erich Honecker]] zusammen.

Brandt gehörte weiterhin dem Bundestag an und eröffnete nach der [[Bundestagswahl 1983]] erstmals als [[Alterspräsident]] den Bundestag, obwohl er nur der zweitälteste Abgeordnete war. [[Egon Franke]] hatte als tatsächlicher Alterspräsident auf diese Würde verzichtet und Brandt den Vortritt bei der Eröffnung gelassen. Nach den Bundestagswahlen [[Bundestagswahl 1987|1987]] und [[Bundestagswahl 1990|1990]] eröffnete Brandt den jeweiligen Bundestag als tatsächlicher Alterspräsident.

Am 23.&nbsp;März 1987 trat Brandt vom Parteivorsitz der SPD zurück, nachdem an seiner Nominierung von [[Margarita Mathiopoulos]] als Kandidatin für das neu zu besetzende Amt der Parteisprecherin harsche parteiinterne Kritik geäußert wurde. Auf dem außerordentlichen [[Parteitag]] am 14.&nbsp;Juni 1987 wurde er zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit gewählt; zu seinem Nachfolger als Parteivorsitzender wurde [[Hans-Jochen Vogel]] gewählt.

Am 20.&nbsp;Januar 1989 lud Bundespräsident [[Richard von Weizsäcker]] anlässlich des 75.&nbsp;Geburtstags von Willy Brandt zu einem Geburtstagsfest in die [[Villa Hammerschmidt]], zu dem zahlreiche Freunde, Weggenossen und Politiker erschienen.
Den ersten gesamtdeutschen Bundestag eröffnete Brandt am 20.&nbsp;Dezember 1990 wie 1983 und 1987 ebenfalls als Alterspräsident. Einige Wochen vorher, am 9.&nbsp;November 1990, war Brandt mit 194&nbsp;Geiseln, deren Freilassung er beim irakischen Präsidenten [[Saddam Hussein]] erreicht hatte, nach Deutschland zurückgekehrt.

Nach dem [[Berliner Mauer|Fall der Mauer]] gehörte Brandt zu den entschiedenen Befürwortern eines Regierungsumzugs von [[Bonn]] nach [[Berlin]]. Am 20.&nbsp;Juni 1991 beschloss der Bundestag – unter anderem auf Antrag Willy Brandts – schließlich den Umzug ([[Hauptstadtbeschluss]]).
[[Bild:Ehrengrab_Willy_Brandt.jpg|thumb|Ehrengrab Willy Brandts auf dem [[Waldfriedhof Zehlendorf]]]]
Am 4.&nbsp;Oktober 1991 wurde bei Brandt ein Tumor im Darm entdeckt, der am 10.&nbsp;Oktober 1991 entfernt wurde. Am 1.&nbsp;Februar 1992 erhielt Brandt in Heidelberg den [[Dolf Sternberger|Dolf-Sternberger]]-Preis. Am 9.&nbsp;Mai 1992 gab Brandt dem [[Bild (Zeitung)|Bild]]-Redakteur [[Ulrich Rosenbaum]] sein letztes Interview. Am 10. Mai 1992 wurde er erneut in die Universitätsklinik Köln eingewiesen und am 22.&nbsp;Mai 1992 wiederum operiert. Die Operation wurde allerdings nach zehn Minuten abgebrochen; der Krebs war zurückgekehrt und hatte in der Zwischenzeit zu stark gestreut, mehrere Organe waren bereits betroffen. Am 30.&nbsp;Mai 1992 verließ Brandt die Klinik und begab sich zusammen mit seiner Frau in sein Haus nach [[Unkel]], das er bis zu seinem Tod nicht mehr verließ. Zu einem etwas unglücklichen Vorfall kam es am 20.&nbsp;September 1992: Als [[Michail Gorbatschow]] Brandt unangemeldet besuchen wollte und sich mit ''Gorbatschow'' an der Sprechanlage des Hauses meldete, hielt Brandts Ehefrau dies für einen schlechten Scherz und verweigerte dem Besucher den Zutritt. Sie glaubte nicht, dass tatsächlich Gorbatschow vor der Tür stand.

Brandts Gesundheitszustand verschlechterte sich ab August 1992 zunehmend. Er starb schließlich am 8.&nbsp;Oktober 1992 um 16:35&nbsp;Uhr. Am 17.&nbsp;Oktober 1992 gedachte der Bundestag seiner in einem [[Staatsakt]].

Lange Zeit wohnte Brandt in der Eschenbrenderstraße in Unkel, anschließend zog er um, blieb aber in Unkel. In seinem letzten Wohnhaus ist eine Ausstellung über ihn zu sehen. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in der Potsdamer Chaussee in [[Berlin-Nikolassee]] im Bezirk [[Steglitz-Zehlendorf]] neben dem seines Vorgängers als regierender Bürgermeister Berlins [[Ernst Reuter]].

== Ehrendes Gedenken ==
[[Bild:Willy-Brandt-Denkmal in Porto.jpg|thumb|left|Willy-Brandt-Denkmal in [[Porto]]: ''Amigo De Portugal'']]
[[Bild:Willy.Brandt.Stockholm.2007.jpg|thumb|[[Willy-Brandt-Park]] in Stockholm, 2007.]]
[[Bild:WillyBrandtHaus1a.jpg|thumb|left|das Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg]]
Nach seinem Tode wurde Willy Brandt vielfach geehrt, Straßen und Plätze nach ihm benannt, unter anderem die Willy-Brandt-Straße in Berlin, an der das [[Bundeskanzleramt (Berlin)|Bundeskanzleramt]] liegt, die Willy-Brandt-Straße in Hamburg sowie die Willy-Brandt-Allee in seiner Heimatstadt [[Lübeck]]. Willy-Brandt-Denkmäler außerhalb Deutschlands befinden sich in [[Porto]] ([[Portugal]]) in der ''Rua de Riu'' und in [[Lille]] ([[Frankreich]]) an der ''Gare de Flandres'' Ecke ''Avenue Willy Brandt''. Sein Konterfei zierte einen Teil der 2-[[Deutsche Mark|DM]]-[[Münzen]]. Er ist [[Ehrenbürger]] mehrerer deutscher Städte (Heimatstadt [[Lübeck]], Berlin).

Die Bundesrepublik Deutschland errichtete zu seinem ehrenden Gedenken als bundesunmittelbare [[Stiftung]] die [[Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung]] mit dem Sitz in Berlin nach dem Vorbild der amerikanischen [[Präsidentenbibliothek]]en. Die Stiftung eröffnete am 18. Dezember 2007, zum 94. Geburtstag Willy Brandts, eine Außenstelle in der [[Königstraße (Lübeck)|Königstraße]] der Lübecker Altstadt, das [[Willy-Brandt-Haus Lübeck]]. Daneben besteht als weitere Stiftung norwegischen Rechts die [[Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt Stiftung]] mit dem Sitz in [[Oslo]] und Berlin. Die in Berlin nach der deutschen Einheit neu errichtete SPD-Parteizentale trägt seinen Namen. Im Innenhof des Gebäudes ist ihm zu Ehren eine Bronzeskulptur aufgestellt.

Das [[Willy-Brandt-Haus]] ist die Bundeszentrale der SPD in [[Berlin-Kreuzberg]], die 1996 eingeweiht wurde. Im Atrium des Hauses steht ein überlebensgroßes bronzenes Willy-Brandt-Denkmal des Malers und Bildhauers [[Rainer Fetting]].

Der [[École nationale d'administration|ENA]]-Jahrgang 2007–2009 gab sich den Namen „Willy Brandt“.<ref>[http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,481127,00.html ''Willy Brandt schlägt Zinedine Zidane'']. SPIEGEL ONLINE, 4.&nbsp;Mai 2007</ref> Die ''École nationale d'administration'' ist die französische Elitehochschule, die die angehenden hohen Beamten des französischen Staatsdienstes ausbildet.

[[Brigitte Seebacher-Brandt]] schrieb auf Wunsch ihres Mannes eine Biografie, die aber bei einigen Historikern Unmut hervorrief. Ihr wurde vorgeworfen, Brandt teilweise unrichtig interpretiert zu haben, bzw. Brandt verfälscht und für eigene Zwecke vereinnahmt zu haben.

== Auszeichnungen ==
* 1970 [[Person of the Year]]
* 1971 [[Friedensnobelpreis]]
* 1972 [[Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich|Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich]]
* 1985 [[Albert-Einstein-Friedenspreis]]
* 1986 [[Orden El Sol del Perú|Sonnenorden Perus]]

== Werke ==
* ''Zur Nachkriegspolitik der deutschen Sozialisten'' Jocke Leufvmark. Stockholm 1944. (gemeinsam mit [[August Enderle]], [[Irmgard Enderle]], [[Stefan Szende]] und Ernst Behm)
* ''[[Verbrecher und andere Deutsche|Forbrytere og andre tyskere]]'' („Verbrecher und andere Deutsche“), Oslo 1946; erste dt. Ausgabe: ''Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946''. Bearb. u. hrsg. von Einhart Lorenz. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2007, ISBN 978-3-8012-0380-1 <ref>[[Die Zeit]]: [http://www.zeit.de/2007/51/P-Willy-Brandt?page=all „Der wahre Patriot“] Volker Ullrich über ''Verbrecher und andere Deutsche'', 13. Dezember 2007</ref>
* ''Mein Weg nach Berlin'', Kindler Verlag, München 1960.
* ''Friedenspolitik in Europa'', S.&nbsp;Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1968.
* ''Begegnungen und Einsichten 1960–1975'', Hoffmann und Campe, Hamburg 1976, ISBN 3-455-08979-8
* ''Links und frei. Mein Weg 1930–1950'', Hoffmann und Campe, Hamburg 1982, ISBN 3455087434
* ''Erinnerungen'', Propyläen Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-549-07353-4

== Siehe auch ==
* [[Senat Brandt I]]
* [[Senat Brandt II]]
* [[Senat Brandt III]]
* [[Kabinett Kiesinger]]
* [[Kabinett Brandt I]]
* [[Kabinett Brandt II]]
* [[Willy-Brandt-Medaille]]
* [[Willy-Brandt-Schule]]
* [[Willy-Brandt-Gesamtschule]]

== Verfilmungen ==
* [[Im Schatten der Macht]], zweiteiliger Spielfilm über Brandts letzte Tage als Kanzler

== Quellen ==
<references />

== Literatur ==
* [[Lars Brandt]]: ''Andenken''. Carl Hanser Verlag, München 2006, ISBN 978-3-446-20710-3, 156 S.
* [[Rut Brandt]]: ''Freundesland – Erinnerungen''. Hoffmann und Campe, 1992
* ''Brand(t)meister : Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin im Spiegel der Karikatur in West und Ost,'' hrsg. von [[Dieter Dowe]]. Bildtexte von Siegfried Heimann. – München [u.&nbsp;a.] : Olzog, 1996, ISBN 3-7892-9380-6
* Lorenz Einhart: ''Willy Brandt in Norwegen: die Jahre des Exils 1933 bis 1940''. Kiel 1989, 377S., ISBN 3-89029-955-5
* [[Margarita Mathiopoulos]] und Jupp Darchinger: ''Willy Brandt, Bilder aus dem Leben eines großen Europäers''. Droemer Knaur, München 1993, ISBN 3-426-26745-4
* [[Peter Merseburger]]: ''Willy Brandt, 1913–1992. Visionär und Realist''. DVA, Stuttgart 2002, ISBN 3-423-34097-5, [http://www.zeit.de/2001/36/200236_p-brandt_xml Rezension] auf den Seiten der [[Die Zeit|Zeit]]
* Horst Möller (Hrsg.): ''Willy Brandt und Frankreich'', München 2005 (Oldenbourg), 286 S., Reihe: Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte – Sondernummern, ISBN 3-486-57649-6
* [[Steffen Raßloff]] (Hg.): ''"Willy Brandt ans Fenster!" Das [[Erfurter Gipfeltreffen]] und die Geschichte des [[Erfurter Hof|"Erfurter Hofes"'']]. Glaux Verlag, Jena 2007, ISBN 978-3-940265-05-0
* Heinz Scholl: ''Der Falsche Messias - Aufstieg und Fall des Willy Brandt''. VZD Euskirchen 1974
* Gregor Schöllgen: ''Willy Brandt. Die Biographie''. Propyläen Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-549-07142-6
* [[Brigitte Seebacher-Brandt]]: ''Willy Brandt''. Piper Verlag, 2004, ISBN 3-492-04383-6
* Carola Stern: ''Willy Brandt''. Überarbeitete Neuausgabe, Reinbek 2002, ISBN 3-499-50576-2
* [[Martin Wein]]: ''Willy Brandt – Das Werden eines Staatsmannes''. Berlin 2003, ISBN 3-7466-1992-0

== Weblinks ==
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{{Wikiquote|Willy Brandt}}
* {{PND|11851444X}}
* {{nobel-fr|1971|Willy Brandt}}
* [http://www.ena.lu?lang=3&doc=28433 Willy-Brandt-Spezialdossier in der digitalen Bibliothek ENA]
* [http://www.stern.de/politik/historie/523745.html?eid=523692 Fotostrecke (Bild-Biografie) auf stern.de]
* [http://www.stern.de/politik/historie/:Fotostrecke-Willy-Brandt-Vision%E4r-Weltpolitiker/241875.html?nv=fs&cp=1 Weitere Fotostrecke auf stern.de]
* [http://www.bwbs.de/ Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (Berlin)]
* [http://www.willy-brandt-haus.de/ Willy-Brandt-Haus Berlin]
* [http://www.willy-brandt-luebeck.de/ Willy-Brandt-Haus Lübeck ]
* [http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/BrandtWilly/ Lebenslauf Willy Brandts]
* [http://www.stern.de/politik/historie/?eid=523692 Stern-Extra zu Brandt „Der einsame Visionär“]
* [http://library.fes.de/cgi-bin/populo/brandt.pl Willy-Brandt-Personalbibliografie] in der [[Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn]]
* [http://www.willy-brandt-stiftung.de/ Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt-Stiftung (Oslo/Berlin)]
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Version vom 26. Januar 2008, 07:10 Uhr

29. Dezember 1971: Willy Brandt (links) und Richard Nixon bei einer gemeinsamen Presseerklärung
Datei:ErlerBrandtMcNamara1965.jpg
US-Verteidigungsminister Robert McNamara (rechts) im Gespräch mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler (links) und Westberlins Regierendem Bürgermeister Brandt am 13. April 1965 in Arlington, Virginia, USA

Willy Brandt (* 18. Dezember 1913 in Lübeck; † 8. Oktober 1992 in Unkel am Rhein; Geburtsname Herbert Ernst Karl Frahm) war ein deutscher sozialdemokratischer Politiker.

Er war von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister von Berlin, von 1966 bis 1969 Bundesaußenminister und Stellvertreter des Bundeskanzlers sowie von 1969 bis 1974 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Für seine Ostpolitik, die auf Entspannung und Ausgleich mit den osteuropäischen Staaten ausgerichtet war, erhielt er am 10. Dezember 1971 den Friedensnobelpreis.

Leben

Rückseite der 2-DM-Münze: Willy Brandt
Nachempfundenes Arbeitszimmer des jungen Willy Brandt (damals Herbert Frahm) im Willy-Brandt-Haus Lübeck

Willy Brandt wurde im Dezember 1913 als Sohn von Martha Frahm (geborene Ewert), die Verkäuferin war, und John Möller in der Lübecker Vorstadt St.-Lorenz-Süd geboren. Seinen Vater, der während knapp anderthalb Jahren Realschullehrer in Lübeck war und der sich während Brandts Geburtsmonat, dem Dezember 1913 von dort wieder abmeldete, wurde nach 1933 aus dem Staatsdienst entlassen und arbeitete als Buchhalter in Hamburg, lernte er nie kennen. Sein leiblicher Vater John Möller lebte während seiner Lübecker Zeit, ebenso wie die Großeltern Thomas Manns in der Mengstraße. Damit ist die Mengstraße mit dem Buddenbrookhaus die einzige Straße der Welt, die die leiblichen Vorfahren zweier Nobelpreisträger beherbergte. Brandt wuchs bei seiner Mutter und seinem Stiefgroßvater Ludwig Frahm (1875-1934) auf, der Martha Ewert nach der Heirat mit deren Mutter Wilhelmine Ewert seinen Namen gegeben hatte.[1] Willy Brandt, damals Herbert Frahm nannte seinen Stiefgroßvater Papa. In seinem Abiturzeugnis wurde Ludwig Frahm als Vater genannt.[2]

Seine nichteheliche Geburt, die vielfach von Zeitgenossen als Makel angesehen wurde, benutzten politische Gegner bis in sein Erwachsenenleben, um ihn herabzusetzen. Er wehrte sich nicht dagegen, doch bekannte er, "Herkunft und üble Nachrede" hätten ihm einen "Stachel eingepflanzt".[3] Nach der Hochzeit seiner Mutter im September 1927 mit dem Maurerpolier Emil Kuhlmann und der Geburt des Sohnes Günter im Februar 1928 blieb Herbert bei seinem Stiefgroßvater und dessen zweiter Frau Dora. Ludwig Frahm gehörte der SPD an und kandidierte 1926 und 1929 auf der SPD-Liste für die Lübecker Bürgerschaft; Herbert war ab Herbst 1925 Mitglied der Kinderfreunde, einer Kindergruppe der Falken, ab April 1929 der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ), in der er als Mitglied der Lübecker Gruppe Karl Marx einen radikalen Kurs vertrat.

Er besuchte die St.-Lorenz-Knaben-Mittelschule, ab 1927 die Von Großheimsche Realschule und wechselte 1928 zum Johanneum zu Lübeck, an dem er 1932 sein Abitur ablegte. Im Antrag auf Zulassung zum Abitur nannte er Journalist als Berufswunsch. Publizistisch betätigte er sich bereits als 13-Jähriger; der Lübecker Volksbote, die örtliche SPD-Zeitung, druckte im Februar 1927 einen Aufsatz mit zwei Zeichnungen über eine Tageswanderung des Schülers mit Freunden zur Travequelle ab. Regelmäßiger veröffentlichte er politische Texte von 1929 bis 1931 im Volksboten, von dessen Chefredakteur Julius Leber er später sagte, dieser habe ihn entscheidend beeinflusst.

1930 trat er der SPD bei. Im Oktober 1931 brach er mit Leber und der SPD und schloss sich der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) an, einer linkssozialistischen Gruppe. Für ein Studium, für das Leber ihm ein Parteistipendium in Aussicht gestellt hatte, fehlten ihm die Mittel; er begann im Mai 1932 ein Volontariat bei der Schiffsmaklerfirma, Reederei und Spedition F. H. Bertling KG in Lübeck. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 wurde die SAP verboten. Die Partei beschloss, im Untergrund gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Willy Brandt erhielt im März 1933 den Auftrag, die Ausreise des SAP-Leitungsmitglieds Paul Frölich nach Oslo zu organisieren. Frölich wurde jedoch festgenommen, so dass Brandt dessen Aufgabe übernahm, in Oslo eine Zelle der Organisation aufzubauen. Brandt emigrierte über Dänemark nach Norwegen und begann 1934 in Oslo ein Geschichtsstudium, das er jedoch wegen seiner publizistischen Tätigkeit für norwegische Zeitungen und seines politischen Einsatzes wenig vorantrieb und nicht zu einem Abschluss brachte. In Oslo leitete er auch die Zentrale des SAP-Jugendverbandes SJVD. Ferner vertrat er den SJVD von 1934 bis 1937 beim Internationalen Büro revolutionärer Jugendorganisationen des Londoner Büros.

Er legte sich 1934 den Decknamen Willy Brandt zu, den er ab 1947 auch offiziell übernahm. Er selbst sprach 1961 von einem Allerweltsnamen, den er gewählt habe, doch bestand in Lübeck, als er dort sein Volontariat absolvierte, eine Schiffsausrüsterfirma William Brandt Wwe.[4]

Unter dem Decknamen Gunnar Gaasland kehrte er im Auftrag Jacob Walchers von September bis Dezember 1936 als Student nach Deutschland zurück. Er hielt sich als Kriegsberichterstatter in Berlin auf und sprach dabei Deutsch mit norwegischem Akzent. Der richtige Gunnar Gaasland war seit 1936 mit Gertrud Meyer, Brandts Lübecker Jugendfreundin, verheiratet, die ihrem langjährigen Gefährten im Juli 1933 nach Norwegen gefolgt war. Die Ehe mit Gaasland bestand auf dem Papier, gab aber „Trudel“, die bis 1939 mit Brandt zusammenlebte, die norwegische Staatsangehörigkeit. Gaasland stellte Brandt seinen Namen zur Verfügung und blieb in Norwegen. Brandt war 1937 als Berichterstatter im spanischen Bürgerkrieg tätig.

1938 wurde er von der nationalsozialistischen Regierung ausgebürgert. Deswegen bemühte er sich um die norwegische Staatsbürgerschaft. Während der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg geriet er 1940 vorübergehend in deutsche Gefangenschaft. Da er aber bei seiner Ergreifung eine norwegische Uniform trug und nicht enttarnt wurde, konnte er nach seiner baldigen Freilassung nach Schweden fliehen. In Stockholm gründete er zusammen mit zwei schwedischen Journalisten ein Schwedisch-Norwegisches Pressebüro, das 70 Tageszeitungen in Schweden belieferte. Im August 1940 wurde ihm die norwegische Staatsbürgerschaft von der Botschaft in Stockholm zugesprochen. Bis zum Ende des Krieges blieb er in Stockholm, wo er gemeinsam mit August Enderle federführend an der Wiederannäherung des SAP-Exils an die SPD mitarbeitete. Er lernte dort auch Bruno Kreisky, den späteren österreichischen Bundeskanzler, kennen. Die beiden waren jahrelang freundschaftlich verbunden.

Brandt war von 1941 bis 1948 mit Carlotta Thorkildsen verheiratet und hatte mit ihr die gemeinsame Tochter Ninja (* 1940). Nach der Scheidung heiratete er noch 1948 die verwitwete Rut Bergaust, geborene Hansen (* 1920, † 2006). Aus dieser Beziehung gingen drei Söhne hervor, Peter (* 1948), Lars (* 1951) und Matthias (* 1961). Nach 32 Jahren Ehe ließen sich Rut und Willy Brandt 1980 scheiden. Am 9. Dezember 1983 heiratete Brandt die Historikerin und Publizistin Brigitte Seebacher (* 1946).

1945 kehrte Brandt als Korrespondent für skandinavische Zeitungen nach Deutschland zurück und berichtete über die Nürnberger Prozesse. Nachdem er am 20. Mai 1946 mit einer Rede in Lübeck über Deutschland und die Welt Zustimmung der dortigen Sozialdemokraten erfahren hatte, stand im Sommer 1946 nach einem Gespräch mit Theodor Steltzer Brandts Rückkehr nach Lübeck zur Diskussion. Er sollte als Nachfolger von Otto Passarge Bürgermeister seiner Mutterstadt, wie er Lübeck nannte, werden. Nachdem ihm der norwegische Außenminister Halvard Lange vorschlug, als Presseattaché an die norwegische Militärmission nach Berlin zu gehen und der norwegischen Regierung aus der Stadt vom beginnenden Kalten Krieg zu berichten, entschied er sich gegen seine Geburtsstadt, denn Lübeck kam mir ein wenig eng vor nach seinen internationalen Erfahrungen seit der Emigration.[5] Seiner Geburtsstadt blieb Brandt jedoch eng verbunden. So schloss er Wahlkämpfe bis hin zu Kommunalwahlkämpfen stets am Vortag der Wahl mit einer Kundgebung in Lübeck ab.

Am 1. Juli 1948 erhielt er von der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. 1949 ließ er sich seinen Decknamen Willy Brandt als offiziellen Namen vom Polizeipräsidium Berlin anerkennen.

Politische Karriere

Berlin

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt (re.), zusammen mit dem US-amerikanischen Präsidenten, John F. Kennedy (li.) in Washington im Weißen Haus, 13. März 1961

Seine politische Karriere im Nachkriegsdeutschland begann 1949 als Berliner Abgeordneter für die SPD im ersten Deutschen Bundestag. Insgesamt gehörte Brandt dem Bundestag von 1949 bis 1957, von 1961 bis zum 27. Dezember 1961 und von 1969 bis zu seinem Tode im Jahre 1992, also insgesamt 31 Jahre lang, an. 1950 wurde er auch Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Er legte dieses Mandat erst am 6. April 1971, also knapp zwei Jahre nach seiner Wahl zum Bundeskanzler, nieder.

1955 wurde Willy Brandt in der Nachfolge Otto Suhrs Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. 1957 wurde er, ebenfalls in der Nachfolge Otto Suhrs, zum Regierenden Bürgermeister gewählt. In diesem Amt erlangte Brandt aufgrund seines entschlossenen Handelns während des Berlin-Ultimatums (1958) und nach dem Mauerbau 1961 große Popularität.

Diese Popularität schlug sich auch in den Ergebnissen der Berliner SPD bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus nieder: 1958 steigerte sich die SPD um 8,0 Prozentpunkte auf 52,6 % der Stimmen, 1963 erreichte sie mit 61,9 % der Stimmen das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte.

Er blieb bis zum 30. November 1966 Regierender Bürgermeister. Vom 1. November 1957 bis zum 31. Oktober 1958 war Brandt gleichzeitig Bundesratspräsident.

Von 1958 bis 1963 war er Landesvorsitzender der SPD Berlins.

In der Bundespolitik 1961–1969

27. Februar 1969: Besuch Nixons in Berlin

Bei der Bundestagswahl 1961 trat Brandt erstmals als Kanzlerkandidat seiner Partei gegen den damals 85 Jahre alten Konrad Adenauer an. Im Wahlkampf wurde Brandt häufig mit dem jugendlich wirkenden charismatischen US-Präsidenten John F. Kennedy verglichen. Adenauer spielte am 14. August 1961, einen Tag nach Beginn des Mauerbaus in Berlin, bei einer Wahlveranstaltung in Regensburg, als er von seinem Gegenkandidaten als Brandt alias Frahm sprach, auf dessen Jahre im Exil an, doch wurde der Ausdruck auch als Hinweis auf seine nichteheliche Geburt verstanden. Am 16. August benutzte Adenauer diese Formulierung in Bonn noch einmal. Franz Josef Strauß hatte bereits im Februar 1961 in Vilshofen unter Anspielung auf Brandts Exiljahre, die immer wieder zum Anlass für persönliche Angriffe bis hin zum Vorwurf des Vaterlandsverrats genutzt wurden, gesagt: „Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“[6]

Die SPD legte bei der Wahl mit 4,4 Prozentpunkten auf 36,2 Prozent der Wählerstimmen deutlich zu. Zur Regierungsübernahme kam es nicht, obwohl eine Koalition mit den 12,8 Prozent der FDP rechnerisch möglich gewesen wäre. Ein Gespräch Brandts mit Erich Mende führte zu keinem Ergebnis. Die absolute Mehrheit der CDU war jedoch gebrochen, sie verlor 4,8 Prozentpunkte.

1962 übernahm Brandt auf Initiative von Herbert Wehner den stellvertretenden Parteivorsitz,[7] 1964 als Nachfolger des verstorbenen Erich Ollenhauer den Bundesvorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, den er bis 1987 innehatte. Bei der Bundestagswahl 1965 unterlag er Bundeskanzler Ludwig Erhard, woraufhin er sich enttäuscht vorübergehend von der Bundespolitik zurückzog und eine weitere Kanzlerkandidatur ausschloss.

In dieser Zeit war er der am meisten umstrittene (und beschimpfte) Politiker der Republik. Besonders erbitterte es ihn, dass er wegen seiner antifaschistischen Vergangenheit diffamiert wurde, während Ex-Nazis deren Vergangenheit verziehen wurde. „Dieser Wahlkampf hat Wunden hinterlassen“, sagte er 1965.

Nach Erhards Rücktritt 1966 wurde Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum Bundeskanzler gewählt, der eine Große Koalition mit der SPD bildete. Willy Brandt trat von seinem Berliner Amt zurück und übernahm das Amt des Außenministers und Vizekanzlers.

Bundeskanzler

Kabinett Brandt I (1969–1972)

Nach der Bundestagswahl 1969 bildete Willy Brandt gegen den Willen von Herbert Wehner und Helmut Schmidt, die eine Fortsetzung der großen Koalition vorgezogen hätten, eine Koalition mit der FDP. Die sozialliberale Koalition verfügte lediglich über eine Mehrheit von zwölf Stimmen. Der Bundestag wählte Brandt zum vierten Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Vizekanzler und Außenminister wurde Walter Scheel (FDP).

Brandts Amtszeit ist verbunden mit dem Stichwort der Ostpolitik, die den Kalten Krieg unter der Losung „Wandel durch Annäherung” bzw. „Politik der kleinen Schritte” abmindern und die Berliner Mauer durchlässiger machen sollte.

Der Kniefall von Warschau (1970) am Mahnmal des Ghetto-Aufstandes von 1943 leitete symbolisch die Entspannungspolitik ein, die in den sogenannten Ostverträgen mit Polen und der Sowjetunion mündete. Hinzu kam später der Grundlagenvertrag mit der DDR. 1970 hatte er sich in Erfurt mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR Willi Stoph erst zum ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen im Erfurter Hof, dann in Kassel getroffen. Es folgte ein Abkommen mit der Tschechoslowakei. Dafür erhielt Brandt 1971 den Friedensnobelpreis.

Datei:DSC01169.JPG
Faksimile im Bundeskanzleramt von Willy Brandts Urkunde für den Friedensnobelpreis 1971

Mit dieser sogenannten „Neuen Ostpolitik”, die Willy Brandt gemeinsam mit Walter Scheel gegen den entschiedenen Widerstand der Mehrheit der CDU/CSU-Opposition durchsetzte, bemühte er sich um eine „Entspannung in Europa“.

Einige Geschichts- und Politikwissenschafter sehen darin heute eine Wegbereitung für den Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen in Osteuropa und die Wiedervereinigung Deutschlands, die von Brandt mit seiner Ostpolitik jedoch nicht beabsichtigt war. Seinerzeit wurde ihm von konservativer Seite vorgeworfen, damit eine unnötige Anerkennung der DDR betrieben zu haben. Sie sahen die Entspannungspolitik nicht als Weg zum Zusammenbruch der Staaten des Ostblocks, sondern konstatierten im Ergebnis einzig eine Aufwertung der Regierungen.

Gleichzeitig ging es ihm um innenpolitische Reformen in der Sozial-, Bildungs- und Rechtspolitik. „Mehr Demokratie wagen” war das Motto, mit dem Brandt die innenpolitische Stagnation der Nachkriegszeit überwinden wollte. Auch aufgrund der Ölkrise von 1973 infolge des israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieges sind diese Reformen nur teilweise realisiert worden. Besonders der sogenannte „Radikalenerlass“ gegen Extremisten im öffentlichen Dienst, der 1972 eingeführt wurde, ist bis heute bekannt geblieben. Er wird bis heute von Kritikern auf der Linken scharf kritisiert und auch Brandt selbst hat ihn später als schweren Fehler bezeichnet.

Misstrauensvotum und Vertrauensfrage (1972)

Seit Amtsantritt der Regierung Brandt hatten bis zum Jahr 1972 so viele Abgeordnete der SPD und der FDP zur Unionsfraktion gewechselt, darunter der ehemalige Bundesminister Erich Mende, dass die CDU/CSU-Fraktion rechnerisch über eine knappe absolute Mehrheit verfügte. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel glaubte daher im April 1972, Willy Brandt mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums ablösen zu können. Doch für seine Wahl zum Bundeskanzler fehlten ihm bei der Abstimmung zwei Stimmen. Später wurde bekannt, dass die DDR mindestens einen Abgeordneten (Julius Steiner) der CDU bestochen hatte. Mittlerweile ist durch die Rosenholz-Akten auch der zweite Abgeordnete aus den Reihen der CSU bekannt. Leo Wagner erhielt von der Staatssicherheit 50.000 DM. Da allerdings auch die SPD/FDP-Koalition im Bundestag über keine handlungsfähige Mehrheit mehr verfügte, stellte Brandt im September 1972 die Vertrauensfrage, bei welcher sich absprachegemäß die Bundesminister enthielten, so dass die Vertrauensfrage negativ beantwortet wurde und Bundespräsident Gustav Heinemann auf Antrag Brandts den Bundestag auflöste.

Kabinett Brandt II (1972–1974)

Bei den Neuwahlen im November 1972 wurde die Regierung Brandt bestätigt und verfügte nunmehr über eine handlungsfähige Mehrheit im Bundestag. Die SPD wurde mit 45,8 % der Stimmen erstmals stärkste Bundestagsfraktion, ein Ergebnis, das auch im Ausland als Volksabstimmung über die Ostverträge verstanden wurde, für deren parlamentarische Ratifizierung jetzt der Weg frei war.

Am 7. Juni 1973 besuchte Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler Israel, nachdem 1965 die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufgenommen worden waren. Bereits 1970 hatte mit Abba Eban erstmals ein israelischer Außenminister die Bundesrepublik besucht, der Gegenbesuch durch Außenminister Walter Scheel war im selben Jahr erfolgt.

Rücktritt infolge der Guillaume-Affäre

Die gewonnene Bundestagswahl 1972 stellte zwar den politisch größten Erfolg Brandts dar, jedoch sind sich zeitgenössische Beobachter wie Egon Bahr darin einig, dass dieser „Höhepunkt eindeutig auch der Scheitelpunkt war – von da an ging es bergab“.[8]

Politische Ermüdungserscheinungen Brandts paarten sich mit überhöhten Erwartungen an seine zweite Regierungszeit.

Dennoch kam sein Rücktritt für die Öffentlichkeit überraschend, wobei die Guillaume-Affäre wohl eher der Auslöser als die Ursache für Brandts Rücktritt war. Als Ursachen werden auch die Ölkrise und der damit verbundene Wirtschaftsabschwung sowie die nach einem harten Streik im Öffentlichen Dienst von der ÖTV unter Heinz Kluncker durchgesetzten hohen Tarifabschlüsse angesehen. Beides verringerte den Spielraum für mögliche Reformen und belastete Brandt auch seelisch.

Am Ende einer turnusmäßigen Zusammenkunft von SPD und Gewerkschaftsspitzenfunktionären in der Kurt-Schumacher-Akademie in Bad Münstereifel am 4. und 5. Mai erklärte Brandt in einem auf den 6. Mai 1974 datierten handschriftlichen Brief seinen Rücktritt, der vom NDR am folgenden Tag publik gemacht wurde. Anlass war die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiten einer der engsten Mitarbeiter von Brandt gewesen war. Brandt übernahm mit seinem Rücktritt Verantwortung für Fahrlässigkeiten innerhalb der Bundesregierung. Guillaume war in unmittelbarer Nähe des Kanzlers geblieben, obwohl er seit mehr als einem Jahr im Verdacht stand, Spionage zu betreiben. Brandt hatte im Glauben, Guillaumes DDR-Herkunft sei der Grund für den Spionageverdacht gewesen, die Brisanz der Angelegenheit unterschätzt und ihr entsprechend wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die Diskriminierung von DDR-Bürgern, die wie Guillaume in die Bundesrepublik übergesiedelt waren, war damals nicht ungewöhnlich. Brandt behauptete später, Herbert Wehner sei an seinem Rücktritt mitschuldig gewesen, da dieser ihn davon nicht abgehalten hatte. Beide blieben im Zentralvorstand der SPD und hatten fortan zahlreiche Unstimmigkeiten. Ein weiterer Kontrahent im Kabinett Brandt II war Helmut Schmidt, damals Finanzminister.

Trotz gegenteiliger Beteuerungen Wehners wird allgemein angenommen, dass weniger die Affäre an sich, als vielmehr Wehners Einschätzung, der gesundheitlich angeschlagene, unter Depressionen leidende Brandt sei nicht zu halten, den Ausschlag zum Rücktritt gaben. Brandt sah sich längst üblen Diffamierungskampagnen von politischen Gegnern ausgesetzt, denen er nach Einschätzung Wehners im bevorstehenden Wahlkampf kaum standgehalten hätte. Dass der scheidende Kanzler angeblich eine Schwäche für das weibliche Geschlecht hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Ihm wurden zahlreiche Affären mit Frauen und Alkoholprobleme untergeschoben. Zudem bestanden unter anderem bei Horst Herold und Günther Nollau Befürchtungen, der deutsche Regierungschef könnte durch diese Affären erpressbar werden. Zusammen mit der Brandt unterstellten Amtsmüdigkeit und der seit einiger Zeit schwelenden Kritik – Wehner hatte Brandt während seiner Moskaureise öffentlich mit den Worten „Der Herr badet gerne lau“ angegriffen – soll dies für Wehner Grund gewesen sein, den Wechsel des SPD-Kanzler schnell und unsentimental zu vollziehen. Nachfolger Brandts als Bundeskanzler wurde Helmut Schmidt, den Wehner mit den Worten „Helmut, Du musst das jetzt machen“ dazu aufgefordert haben soll. Schmidt will von der Nominierung überrascht gewesen sein und das Amt vorrangig aus Pflichtgefühl übernommen haben. Willy Brandt selbst blieb aber SPD-Vorsitzender. Zum Ende seiner eigenen Kanzlerschaft bezeichnete Schmidt es als Fehler, neben der Kanzlerschaft nicht auch den Parteivorsitz übernommen zu haben. Er sah hierin eine der Ursachen für sein eigenes Scheitern.

Nach dem Rücktritt als Bundeskanzler

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Willy Brandt in Dortmund, ca. 1987

Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers blieb Brandt politisch aktiv: 1976 wurde er Präsident der Sozialistischen Internationale (bis zum 15. September 1992), 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments (bis zum 1. März 1983).

Im April 1977 trug Weltbankpräsident Robert McNamara Brandt den Vorsitz der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ (Nord-Süd-Kommission) an. Nach fast drei Jahren Beratungen legte die Kommission am 12. Februar 1980 in New York ihren Nord-Süd-Bericht vor, der allgemein als „Brandt-Report“ bekannt wurde.

Am 15. November 1978 erlitt Brandt einen Herzinfarkt, so dass er seine politischen Aufgaben vorübergehend nicht mehr wahrnehmen konnte.

Am 7. Juli 1979 kamen Brandt und der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky in Wien mit Jassir Arafat, dem Chef der palästinensischen PLO, zu einem Meinungsaustausch zusammen. Am 15. Oktober 1984 traf Brandt sich auf Kuba mit Staatspräsident Fidel Castro. Im selben Jahr traf Brandt sich auch mit Deng Xiaoping und Michail Gorbatschow. Am 19. September 1985 kam er in Ost-Berlin zu Gesprächen mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zusammen.

Brandt gehörte weiterhin dem Bundestag an und eröffnete nach der Bundestagswahl 1983 erstmals als Alterspräsident den Bundestag, obwohl er nur der zweitälteste Abgeordnete war. Egon Franke hatte als tatsächlicher Alterspräsident auf diese Würde verzichtet und Brandt den Vortritt bei der Eröffnung gelassen. Nach den Bundestagswahlen 1987 und 1990 eröffnete Brandt den jeweiligen Bundestag als tatsächlicher Alterspräsident.

Am 23. März 1987 trat Brandt vom Parteivorsitz der SPD zurück, nachdem an seiner Nominierung von Margarita Mathiopoulos als Kandidatin für das neu zu besetzende Amt der Parteisprecherin harsche parteiinterne Kritik geäußert wurde. Auf dem außerordentlichen Parteitag am 14. Juni 1987 wurde er zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit gewählt; zu seinem Nachfolger als Parteivorsitzender wurde Hans-Jochen Vogel gewählt.

Am 20. Januar 1989 lud Bundespräsident Richard von Weizsäcker anlässlich des 75. Geburtstags von Willy Brandt zu einem Geburtstagsfest in die Villa Hammerschmidt, zu dem zahlreiche Freunde, Weggenossen und Politiker erschienen. Den ersten gesamtdeutschen Bundestag eröffnete Brandt am 20. Dezember 1990 wie 1983 und 1987 ebenfalls als Alterspräsident. Einige Wochen vorher, am 9. November 1990, war Brandt mit 194 Geiseln, deren Freilassung er beim irakischen Präsidenten Saddam Hussein erreicht hatte, nach Deutschland zurückgekehrt.

Nach dem Fall der Mauer gehörte Brandt zu den entschiedenen Befürwortern eines Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin. Am 20. Juni 1991 beschloss der Bundestag – unter anderem auf Antrag Willy Brandts – schließlich den Umzug (Hauptstadtbeschluss).

Ehrengrab Willy Brandts auf dem Waldfriedhof Zehlendorf

Am 4. Oktober 1991 wurde bei Brandt ein Tumor im Darm entdeckt, der am 10. Oktober 1991 entfernt wurde. Am 1. Februar 1992 erhielt Brandt in Heidelberg den Dolf-Sternberger-Preis. Am 9. Mai 1992 gab Brandt dem Bild-Redakteur Ulrich Rosenbaum sein letztes Interview. Am 10. Mai 1992 wurde er erneut in die Universitätsklinik Köln eingewiesen und am 22. Mai 1992 wiederum operiert. Die Operation wurde allerdings nach zehn Minuten abgebrochen; der Krebs war zurückgekehrt und hatte in der Zwischenzeit zu stark gestreut, mehrere Organe waren bereits betroffen. Am 30. Mai 1992 verließ Brandt die Klinik und begab sich zusammen mit seiner Frau in sein Haus nach Unkel, das er bis zu seinem Tod nicht mehr verließ. Zu einem etwas unglücklichen Vorfall kam es am 20. September 1992: Als Michail Gorbatschow Brandt unangemeldet besuchen wollte und sich mit Gorbatschow an der Sprechanlage des Hauses meldete, hielt Brandts Ehefrau dies für einen schlechten Scherz und verweigerte dem Besucher den Zutritt. Sie glaubte nicht, dass tatsächlich Gorbatschow vor der Tür stand.

Brandts Gesundheitszustand verschlechterte sich ab August 1992 zunehmend. Er starb schließlich am 8. Oktober 1992 um 16:35 Uhr. Am 17. Oktober 1992 gedachte der Bundestag seiner in einem Staatsakt.

Lange Zeit wohnte Brandt in der Eschenbrenderstraße in Unkel, anschließend zog er um, blieb aber in Unkel. In seinem letzten Wohnhaus ist eine Ausstellung über ihn zu sehen. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in der Potsdamer Chaussee in Berlin-Nikolassee im Bezirk Steglitz-Zehlendorf neben dem seines Vorgängers als regierender Bürgermeister Berlins Ernst Reuter.

Ehrendes Gedenken

Willy-Brandt-Denkmal in Porto: Amigo De Portugal
Willy-Brandt-Park in Stockholm, 2007.
das Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg

Nach seinem Tode wurde Willy Brandt vielfach geehrt, Straßen und Plätze nach ihm benannt, unter anderem die Willy-Brandt-Straße in Berlin, an der das Bundeskanzleramt liegt, die Willy-Brandt-Straße in Hamburg sowie die Willy-Brandt-Allee in seiner Heimatstadt Lübeck. Willy-Brandt-Denkmäler außerhalb Deutschlands befinden sich in Porto (Portugal) in der Rua de Riu und in Lille (Frankreich) an der Gare de Flandres Ecke Avenue Willy Brandt. Sein Konterfei zierte einen Teil der 2-DM-Münzen. Er ist Ehrenbürger mehrerer deutscher Städte (Heimatstadt Lübeck, Berlin).

Die Bundesrepublik Deutschland errichtete zu seinem ehrenden Gedenken als bundesunmittelbare Stiftung die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung mit dem Sitz in Berlin nach dem Vorbild der amerikanischen Präsidentenbibliotheken. Die Stiftung eröffnete am 18. Dezember 2007, zum 94. Geburtstag Willy Brandts, eine Außenstelle in der Königstraße der Lübecker Altstadt, das Willy-Brandt-Haus Lübeck. Daneben besteht als weitere Stiftung norwegischen Rechts die Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt Stiftung mit dem Sitz in Oslo und Berlin. Die in Berlin nach der deutschen Einheit neu errichtete SPD-Parteizentale trägt seinen Namen. Im Innenhof des Gebäudes ist ihm zu Ehren eine Bronzeskulptur aufgestellt.

Das Willy-Brandt-Haus ist die Bundeszentrale der SPD in Berlin-Kreuzberg, die 1996 eingeweiht wurde. Im Atrium des Hauses steht ein überlebensgroßes bronzenes Willy-Brandt-Denkmal des Malers und Bildhauers Rainer Fetting.

Der ENA-Jahrgang 2007–2009 gab sich den Namen „Willy Brandt“.[9] Die École nationale d'administration ist die französische Elitehochschule, die die angehenden hohen Beamten des französischen Staatsdienstes ausbildet.

Brigitte Seebacher-Brandt schrieb auf Wunsch ihres Mannes eine Biografie, die aber bei einigen Historikern Unmut hervorrief. Ihr wurde vorgeworfen, Brandt teilweise unrichtig interpretiert zu haben, bzw. Brandt verfälscht und für eigene Zwecke vereinnahmt zu haben.

Auszeichnungen

Werke

  • Zur Nachkriegspolitik der deutschen Sozialisten Jocke Leufvmark. Stockholm 1944. (gemeinsam mit August Enderle, Irmgard Enderle, Stefan Szende und Ernst Behm)
  • Forbrytere og andre tyskere („Verbrecher und andere Deutsche“), Oslo 1946; erste dt. Ausgabe: Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946. Bearb. u. hrsg. von Einhart Lorenz. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2007, ISBN 978-3-8012-0380-1 [10]
  • Mein Weg nach Berlin, Kindler Verlag, München 1960.
  • Friedenspolitik in Europa, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1968.
  • Begegnungen und Einsichten 1960–1975, Hoffmann und Campe, Hamburg 1976, ISBN 3-455-08979-8
  • Links und frei. Mein Weg 1930–1950, Hoffmann und Campe, Hamburg 1982, ISBN 3455087434
  • Erinnerungen, Propyläen Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-549-07353-4

Siehe auch

Verfilmungen

Quellen

  1. Brandts Mutter Martha Luise Wilhelmine Frahm wurde am 16. März 1894 unter dem Namen Ewert geboren. Ihre Mutter Wilhelmine Ewert brachte Martha im Alter von 19 Jahren nichtehelich zur Welt, 1896 bekam sie Ende 1896 ebenfalls nichtehelich den Sohn Ernst. Dessen Vater war Ludwig Frahm, der Wilhelmine Ewert zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes heiratete. Durch Einbennennung erhielt Martha den Namen des Ehemanns ihrer Mutter. (Nach Martin Wein: Willy Brandt - das Werden eines Staatsmannes, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003, S. 15-17. Dort heißt es: „Laut Bescheinigung des Großherzogl. Justizministeriums vom 29. April 1900“, notierte Pastor Heinrich Krüger im Kalkhorster Kirchenbuch, „hat der Arbeiter Ludwig Frahm die Erklärung abgegeben, daß er dem von seiner Ehefrau Wilhelmine Ewert am 16. März 1894 außer der Ehe in Kalkhorst geborenen Kind Martha Luise Wilhelmine Ewert seinen Namen Frahm erteile“).
  2. Martin Wein: Willy Brandt - Das Werden eines Staatsmannes Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003
  3. Willy Brandt: Erinnerungen, Ullstein-Taschenbuchausgabe, Frankfurt (Main), Oktober 1992, Seite 85
  4. Martin Wein: Willy Brandt - das Werden eines Staatsmannes Seite 86
  5. Willy Brandt: Erinnerungen, erweiterte Ullstein-Taschenbuchausgabe 1992, Seite 148
  6. Peter Merseburger: Willy Brandt, 1913–1992. Visionär und Realist, Stuttgart 2002, ISBN 3-423-34097-5, S. 410
  7. Peter Merseburger: Willy Brandt, 1913–1992. Visionär und Realist., Stuttgart 2002, ISBN 3-423-34097-5, S. 429
  8. Egon Bahr in seinen Erinnerungen
  9. Willy Brandt schlägt Zinedine Zidane. SPIEGEL ONLINE, 4. Mai 2007
  10. Die Zeit: „Der wahre Patriot“ Volker Ullrich über Verbrecher und andere Deutsche, 13. Dezember 2007

Literatur

Weblinks

Commons: Willy Brandt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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