Estland

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Republik Estland
Eesti Vabariik
Flagge Wappen
ÖsterreichBelgienBulgarienRepublik ZypernTschechienDeutschlandDänemarkDänemarkEstlandSpanienFinnlandFrankreichFrankreichVereinigtes KönigreichVereinigtes KönigreichGriechenlandGriechenlandUngarnIrlandItalienItalienItalienLitauenLuxemburgLettlandNiederlandePolenPortugalRumänienSchwedenSlowenienSlowakeiIslandMontenegroNordmazedonienKroatienTürkeiTürkeiMaltaSerbienGrönlandFäröerNorwegenNorwegenIsle of ManGuernseyJerseyAndorraMonacoSchweizLiechtensteinVatikanstadtSan MarinoAlbanienKosovoBosnien und HerzegowinaRepublik MoldauBelarusRusslandUkraineAutonome Republik KrimKasachstanAbchasienSüdossetienGeorgienAserbaidschanAserbaidschanArmenienIranLibanonSyrienIsraelJordanienSaudi-ArabienIrakRusslandTunesienAlgerienMarokko
Amtssprache Estnisch
Hauptstadt Tallinn
Staatsoberhaupt Präsidentin
Kersti Kaljulaid
Regierungschef Premierminister
Taavi Rõivas
Fläche 45.339[1] km²
Einwohnerzahl 1.315.944 (1. Januar 2016)[2]
Bevölkerungsdichte 29 Einwohner pro km²
Bruttoinlandsprodukt
  • Nominal
2015[3]
  • 29.543 Mrd. US-Dollar (102.)
Brutto­inlands­produkt pro Einwohner 19.034 US-Dollar (42.)
Index der menschlichen Entwicklung   0,861 (30.)[4]
Währung Euro (EUR)
Unabhängigkeit 24. Februar 1918 (Deklaration)
20. August 1991 (Wiedererlangung)
National­hymne Mu isamaa, mu õnn ja rõõm
(„Mein Vaterland, mein Glück und [meine] Freude“)
Zeitzone UTC+2 OEZ
UTC+3 OESZ (März bis Oktober)
Kfz-Kennzeichen EST
ISO 3166 EE, EST, 233
Internet-TLD .ee
Telefonvorwahl +372
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Estland ([ˈʔeːstlant], auch [ˈʔɛstlant], estnisch Eesti [eːsti]) ist ein Staat in Nordeuropa und das nördlichste Land des Baltikums. Es grenzt im Süden an Lettland, im Osten an Russland sowie im Norden und Westen an die Ostsee. Über den Finnischen Meerbusen hinweg bestehen enge Beziehungen zu Finnland, und historisch gibt es durch die Deutsch-Balten viele kulturelle Verbindungen nach Deutschland.

Der seit 1991 unabhängige Staat ist Mitglied der Vereinten Nationen, seit 2004 der EU. Estland ist zudem Mitglied des Europarats, der NATO sowie der OSZE, seit 2010 der OECD und seit 2011 der Eurozone.

Geographie

Finnischer Meerbusen (Satellitenaufnahme)

Estland liegt an der östlichen Küste der Ostsee. Flächenmäßig ist es etwas kleiner als Niedersachsen und etwas größer als die Schweiz. Das seenreiche Wald- und Hügelland mit vielen Mooren (teilweise Gewinnung von Torf) hat eine durchschnittliche Höhe von nur 50 m. Im südöstlichen Moränengebiet steigt es zum livländischen Hügelland bis zur höchsten Erhebung, dem Suur Munamägi (318 Meter), an. Der größte See ist der Peipsi järv (Peipussee), die größten Inseln Saaremaa und Hiiumaa.

Die gesamte Küstenlinie hat eine Länge von 3.794 Kilometer. Sie ist durch mehrere Golfe (wie die Rigaer Bucht), Meerengen und Einbuchtungen gekennzeichnet.

Klima

Das Klima Estlands ist im Allgemeinen kühl-gemäßigt bis rau mit kalten, frostigen Wintern und mäßig warmen Sommern auf nordeuropäischem Niveau. Das Jahresmittel der Temperatur liegt in der Hauptstadt Tallinn bei 4,5 °C, es fallen 650 Millimeter Niederschlag mit einem Maximum im Spätsommer. Im Juli werden durchschnittlich 16,5 °C und im Januar −6,0 °C erreicht. Trotz des kalten Winters bleiben die Küsten jedoch meist eisfrei.

Flora und Fauna

Tarvasjõgi

Mehr als 50 Prozent der estnischen Landesfläche sind bewaldet. Der häufigste Laubbaum in den estnischen Wäldern ist die Birke. Sie ist ein vielbesungenes Motiv in Liedern und Volksdichtung und ein nationales Symbol des Landes. Vor allem auf sandigen Böden in Meeresnähe kommt die Waldkiefer häufig vor. Sie nimmt einen Anteil von etwa 35 % der estnischen Waldflächen ein. Am größten ist ihre Bedeutung auf den vorgelagerten Inseln Saaremaa und Hiiumaa sowie im Landkreis Harjumaa.[5] Auch Fichte, Tanne und Lärche zählen zu den in Estland heimischen Nadelbaumarten.

In Estland sind als große Säugetierarten Elche (ca. 12.000), Rothirsche (ca. 2.800), Rehe (ca. 50.000) sowie Braunbären (etwa 600), Luchse (etwa 800) und Wölfe (etwa 140) heimisch und jagdbar. Ferner kommen Füchse, Biber, Marder und die seltener gewordenen Schneehasen (etwa 12.000) vor.

Geschichte

Das heutige Estland besteht aus der ehemaligen, von 1710 bis 1918 zum Russischen Reich gehörigen Ostseeprovinz Gouvernement Estland und dem nördlichen Teil Livlands, zu dem auch die Insel Saaremaa (Ösel) gehörte.

Deutscher Einfluss

Die mit dem Deutschen Orden ins Land gekommenen Vasallen hatten sich 1252 erstmals zu einer autonomen Landesverwaltung zusammengeschlossen, die durch das bis 1346 dänische Nordestland bestätigt wurde. Nach dem Ende der Herrschaft des Ordens im Jahr 1561 nahmen die hanseatischen Städte und die Ritterschaften auf dem Land die öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsaufgaben wahr. Diese Landesprivilegien, eine Art Autonomiestatut, wurden von der schwedischen Oberschaft bestätigt und blieben auch nach der russischen Eroberung Estlands im Großen Nordischen Krieg (1710) unberührt.

Bei der Unabhängigkeitserklärung in Pärnu am 23. Februar 1918

Die Oberschicht der Stadtbürger und Gutsbesitzer war deutschsprachig, bis 1885 war Deutsch Unterrichts- und Behördensprache. Aufgrund einer Russifizierungskampagne der russisch-zaristischen Regierung löste Russisch Deutsch in dieser Funktion ab.

Eine zentrale Rolle spielte bei der Entwicklung zur eigenen kulturellen und politischen Identität die Universität Tartu (Dorpat), auf der seit den 1870er Jahren die studierenden Esten sich bewusst nicht mehr über die Mitgliedschaft in den Korporationen assimilieren wollten, sondern vor allem im Verein Studierender Esten eine eigene Identität förderten. Während des Zerfalls des Russischen Reiches im Verlauf der Oktoberrevolution erlangte Estland am 24. Februar 1918 seine Unabhängigkeit.

In den Jahren 1939 bis 1940 wurden die Deutschbalten von den Nationalsozialisten aus Estland und Lettland unter dem Motto Heim ins Reich im Rahmen einer Umsiedlung ins Deutsche Reich geholt. Grund war die im Geheimabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt geschlossene Vereinbarung, das Baltikum der sowjetischen Interessensphäre zuzuschlagen.

Sowjetunion

Unter massivem Druck und Gewaltandrohung wurde Estland zusammen mit Lettland und Litauen 1940 von der Sowjetunion annektiert. Nach offizieller sowjetischer Lesart traten die baltischen Staaten der UdSSR bei. Die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik wurde mit Unterstützung von sowjetischen Emissären proklamiert, nachdem Estland zuvor bereits sowjetische Truppen auf seinem Territorium dulden musste. 1940/41 erfolgten Massendeportationen von Esten, besonders aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum, in das Innere der Sowjetunion. Viele von ihnen kamen in den Straflagern des Gulag um. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 war das Land bis 1944 von deutschen Truppen besetzt und wurde verwaltungstechnisch dem Generalkommissariat Ostland zugeordnet. In dieser Zeit wurde die Genozid-Politik der NS-Machthaber an den Juden auch in Estland unter Mitwirkung Einheimischer verfolgt. Etwa 1.000 einheimische und ca. 10.000 Juden aus Ost- und Mitteleuropa wurden im Holocaust getötet.

Aufgrund der Erfahrungen mit den Sowjets schlossen sich viele Esten den deutschen Truppen an, ebenso kämpften Esten auf der sowjetischen Seite. Zehntausende von Esten flüchteten 1944 Richtung Westen nach Deutschland (von dort aus später nach Amerika und Australien), nicht wenige auch nach Schweden oder Finnland. Nach der erneuten Besetzung durch die Rote Armee im Herbst 1944 wurde das Land unter Wiederherstellung der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1940/41 in die Sowjetunion eingegliedert. Es folgten erneut Deportationen von vermeintlich oder tatsächlich dem sowjetischen System ablehnend gegenüberstehenden Einwohnern Estlands und Repressalien gegen so genannte Volksfeinde.[6]

Während des Zweiten Weltkrieges verließ auch die schwedischsprachige Bevölkerung, die vor allem auf den Inseln Hiiumaa (Dagö), Vormsi (Worms) und Ruhnu (Runö) gelebt hatte, das Land. Bis dahin hatten sie sich ihr Estlandschwedisch, das mit dem Finnlandschwedischen zu den ostschwedischen Dialekten zählt, bewahrt.

In der Zeit von 1945 bis 1990 wurde durch gezielte Ansiedlung nichtestnischer Einwohner, insbesondere von Russen, die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten wesentlich zu Ungunsten der einheimischen estnischen Bevölkerung verändert.

Unabhängigkeit 1990

Am 30. März 1990 erklärte Estland sich wieder zur Republik.

Am 18. Dezember 1990 verzichtete Estland auf eine weitere Mitarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR. Bei einer Volksabstimmung am 3. März 1991 über den künftigen Status der Republik stimmten 78 % der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit. Der Vorsitzende des Obersten Rates der Republik Estland, Arnold Rüütel, erklärte, dass ein Referendum keine rechtlich bindende Wirkung habe. Nach dem Augustputsch in Moskau am 20. August 1991 erklärte der Oberste Rat die volle Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Am 23. August 1991 wurde der sowjetische Geheimdienst KGB verboten und am 25. August alle Organe der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU).

Estland stellte damit nach einem mehrjährigen Prozess der Loslösung von der Sowjetunion – im Zuge von Glasnost und Perestroika, insbesondere seit 1988 – seine Souveränität wieder her. Diese Entwicklung verlief überwiegend friedlich; sie wurde als „Singende Revolution“ bekannt. Estland wurde am 29. März 2004 NATO-Mitglied. Die estnische Bevölkerung befürwortete am 14. September 2003 in einem Referendum den Beitritt zur Europäischen Union. Am 1. Mai 2004 wurde daraufhin Estland in die EU aufgenommen.

Am 9. Dezember 2010 erfolgte der Beitritt zur OECD.[7]

Am 1. Januar 2011 führte Estland als erster der baltischen Staaten den Euro ein (siehe auch Estnische Euromünzen).

Ein großes Problem für Estland stellt die Abwanderung junger und qualifizierter Einwohner (meist ethnische Esten) nach Skandinavien und Westeuropa dar, bei einer konstant niedrigen Geburtenrate.

Politik

Staatsaufbau

Riigikogu – das Parlament von Estland
Taavi Rõivas, der Premierminister

Estland ist eine parlamentarische Republik. Die gesetzgebende Gewalt gehört dem Riigikogu (Staatsversammlung/Parlament), der laut dem estnischen Grundgesetz 101 Abgeordnete hat. Der Riigikogu wird von allen estnischen Staatsbürgern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gewählt; das passive Wahlrecht haben estnische Staatsbürger mit der Vollendung des 21. Lebensjahres.

Die Regierung der Republik besteht aus den Ministern und dem Premierminister. Das Staatsoberhaupt ist der Präsident der Republik Estland, der ein abstammungsgemäßer Staatsbürger Estlands und mindestens 40 Jahre alt sein muss. Die Wahl des Präsidenten der Republik ist sehr kompliziert. Im ersten, zweiten und dritten Wahlgang wählt der Riigikogu den Präsidenten. Der Kandidat gilt als gewählt, wenn mindestens zwei Drittel (68 Abgeordnete) für ihn gestimmt haben. Gelingt es dem Riigikogu nicht, den Präsidenten der Republik zu wählen, wird innerhalb eines Monats ein Wahlgremium einberufen, das aus allen 101 Parlamentsabgeordneten und den Vertretern aller Gemeinden und Städten Estlands (derzeit 246) besteht. Dieses Gremium hat die Aufgabe, den Präsidenten im vierten und fünften Wahlgang zu wählen. Der Kandidat gilt als gewählt, wenn mehr als die Hälfte der Wahlgremiumsmitglieder für ihn stimmen (mindestens 174). Falls auch dort niemand gewählt wird, geht die Entscheidung zurück an den Riigikogu, der die Notwahl des Präsidenten der Republik durchführt. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der Stimmen der Mitglieder auf sich vereinigt (mindestens 51).

Bei der Parlamentswahl in Estland am 1. März 2015 lag die Wahlbeteiligung bei 64,2 %.

Wahlen per SMS und Internet

Gewählt wird in Estland in Wahlkabinen, über das Internet oder per SMS. Zur Parlamentswahl 2011 konnten die Wahlberechtigten in Estland ihre Stimme erstmals auch mit einer SMS abgeben. Um per SMS wählen zu können, wurden kostenlos personalisierte SIM-Karten abgegeben. Wie auch bei den Internetwahlen konnten die Wähler nachträglich die von ihnen getroffene Entscheidung korrigieren.[8] Dennoch bleibt die Wahlbeteiligung relativ niedrig.[9]

Koalitionen ab 1992

Mit Beginn des Kabinett Laar I werden die estnischen Regierungen durch Koalitionen getragen.

Zentrumspartei Volksunion[10] Koalitionspartei[11] Sozialdemokratische Partei[12] Reformpartei[13] Res Publica[14] Vaterlandsunion[14][15]
links der Mitte (sozialliberal) links der Mitte (agrarisch) Mitte (zentristisch) Mitte (sozialdemokratisch) rechts der Mitte (klassischer Liberalismus) rechts der Mitte (konservativ) rechts der Mitte (nationalkonservativ)
Wahl 1992 15 0+0 17 12 10+29[15]
1992–1994 Laar I [15]
1994–1995 Tarand [15]
Wahl 1995 16 41[16] 6 19 8
1995 Vähi II
1995–1996 Vähi III
1996–1997 Vähi III
1997–1999 Siimann
Wahl 1999 28 7 7 17 18 18
1999–2002 Laar II
2002–2003 Kallas
Wahl 2003 28 13 6 19 28 7
2003–2005 Parts
2005–2007 Ansip I
Wahl 2007 29 6 10 31 19
2007–2009 Ansip II
2009–2011 Ansip II
Wahl 2011 26 0 19 33 23
2011–2014 Ansip III
2014–2015 Rõivas I
Wahl 2015 27 15 30 14
seit 2015 Rõivas II

Außenpolitik

EU-Mitgliedschaft

Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel. Estland ist einer von 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

Am 14. September 2003 stimmten die Esten über den Beitritt zur Europäischen Union ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 64 %. Mit einer Mehrheit von 66,9 % Jastimmen zu 33,1 % Neinstimmen votierten die Bürger für die Mitgliedschaft in der EU; das ist die niedrigste Zustimmungsrate aller zentral- und osteuropäischen EU-Neumitglieder.

Europawahl 2014:

Wahlbeteiligung: 36,4 %

Partei % Sitze Europäische Partei Fraktion im EP
Reformpartei 24,3 2 ELDR ALDE
Zentrumspartei 22,4 1 ELDR ALDE
Pro-Patria- und Res-Publica-Union 13,9 1 EVP EVP
Sozialdemokratische Partei 13,6 1 SPE S&D
Indrek Tarand (Einzelkandidat) 13,2 1 parteilos Grüne/EFA

Grenzvertrag mit Russland

Am 18. Mai 2005 wurde in Moskau der seit 1999 verhandelte Grenzvertrag mit Russland unterzeichnet. Die Verzögerung hing mit der Weigerung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen, die estnische Sicht der Annexion 1940 und des Vertrags von Dorpat 1920 zu akzeptieren.

Am 27. Juni 2005 zog Russland die geleistete Unterschrift allerdings zurück, da es mit dem Entwurf der Präambel der estnischen Seite nicht einverstanden war, den diese dem Vertrag voranstellen wollte und in dem auf die „Jahrzehnte der Besatzung“ sowie die vergangenen „Aggressionen der Sowjetunion gegen Estland“ hingewiesen wird. Im Jahr 2011 wurde ein neuer Grenzvertrag von beiden Seiten ratifiziert.

Im Zuge der Einführung der estnischen Euromünzen kam es auf Grund der Darstellung der Grenzen Estlands auf der Rückseite der Münzen zu diplomatischen Verstimmungen mit Russland.

Militär

Estland verfügt über eigene Streitkräfte mit insgesamt etwa 25.000 Personen; im aktiven Dienst stehen etwa 4.000 Personen.[17] Die Streitkräfte sind gegliedert in Heer, Marine, Luftwaffe und Estnischer Verteidigungsbund. Es besteht eine gesetzliche Wehrpflicht für Männer. Estland ist Mitglied der NATO.

Menschenrechte

Amnesty International weist in seinem Jahresbericht 2010 darauf hin, dass es in Estland immer wieder zu Diskriminierung von Minderheiten kommt. Am 15. Oktober 2010 verabschiedete das Parlament eine Reihe von Gesetzen, die auch gewaltlose Aktionen und symbolische Handlungen mit Flaggen anderer Staaten als der estnischen unter Strafe stellt.[18]

Ein Konflikt zwischen der russischen Minderheit und den Esten entzündete sich 2007 an dem so genannten Bronze-Soldaten von Tallinn. Dieses Kriegerdenkmal aus Sowjetzeiten wurde im April 2007 auf Veranlassung der estnischen Behörden von seinem ursprünglichen Platz in der Innenstadt der estnischen Hauptstadt in einen Randbezirk verlagert. Dies führte zu Protesten vor allem seitens der russischen Bevölkerung. Die Proteste gegen die Verlegung des Denkmals wurden durch estnische Sicherheitskräfte niedergeschlagen; ein Demonstrant kam zu Tode, viele wurden verletzt.

Der Europarat drängte Estland wiederholt, Maßnahmen zu ergreifen, die einer Benachteiligung von Minderheiten entgegenwirkten.[19]

Staatshaushalt

Der Staatshaushalt umfasste 2009 Ausgaben von umgerechnet 8,042 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 7,293 Mrd. US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts.[20]

Die Staatsverschuldung betrug 2009 1,35 Mrd. US-Dollar oder 7,5 % des BIP.[20]

2006 betrug der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) folgender Bereiche:

Entgegen der landläufigen Ansicht, ein Haushaltsdefizit sei in der Verfassung des Landes verboten, ist der Umgang der Regierung mit dem Staatshaushalt zwar nicht gesetzlich festgeschrieben, folgt aber stets klaren Richtlinien. Ein ausgeglichenes Budget ist Prinzip, den Gemeinden des Landes ist es nicht erlaubt, ihr budgetiertes Defizit um 60 % der erwarteten Jahreseinkünfte überschreiten zu lassen (75 % bis 2004), und die Begleichung von Staatsschulden darf 20 % der für das jeweilige Abschlussjahr erwarteten Einnahmen nicht übersteigen. Zwischen 1993 und 2007 wurde in fast jedem Jahr ein Haushaltsüberschuss verzeichnet.[22]

Diese Vorgaben sind in der Konsequenz auch bei der Aufnahme neuer Kredite zu beachten, was die Staatsverschuldung zu einer der niedrigsten in der EU macht. Banknoten und Münzen im Umlauf ebenso wie die Guthaben der Geschäftsbanken bei der Estnischen Bank müssen stets voll durch Gold und Fremdwährungsguthaben gedeckt sein. Faktisch wird damit ein ausgeglichenes Budget erzwungen.

Steuersystem

Nach der Unabhängigkeit 1991 galt in Estland für Personen eine progressive Besteuerung mit 16, 24 und 33 Prozent. Das Steuersystem wurde 1994 reformiert, und als erstes europäisches Land führte Estland im selben Jahr eine Einheitssteuer ein, deren Satz damals bei 26 % lag. Im Januar 2005 wurde dieser Satz auf 24 % reduziert und eine weitere Senkung in jährlichen 1-%-Punkt-Schritten beschlossen. Seit dem 1. Januar 2008 liegt der Einkommenssteuersatz dieser Einheitssteuer bei 21 %. Seit dem 1. Januar 2015 liegt der Steuersatz bei 20 %. Unternehmen zahlen für nicht entnommene Gewinne keine Steuern. Nur die entnommen Gewinne werden mit der Flat Tax von 20 % besteuert.

E-Residency

Dank eines starken IT-Sektors (s. Telekommunikation) ist Estland eins der am weitest fortgeschrittenen Länder im Bereich e-Government. So bietet Estland seit Ende Januar 2015 Bürgern vieler Länder eine sog. e-Residency an. e-Residenten werden allerdings keine Bürger oder Bewohner Estlands und erhalten dadurch auch keine Aufenthaltserlaubnis, EU-Visa oder das Recht zu wählen, sondern erhalten lediglich eine Digitale Identität.

Für eine e-Residency kann sich online beworben werden. Nach einer Bearbeitungszeit von wenigen Wochen, einer Prüfung durch die Politsei- ja Piirivalveamet (Polizei und Grenzschutz) und der Zahlung einer Bearbeitungsgebühr (ca. 100 US-Dollar im März 2016) kann dann eine Karte mit Chip und Lesegerät in Estland oder in vielen estländischen Botschaften abgeholt werden.

Diese ermöglicht Folgendes:

  • Erstellen von digitalen Signaturen
  • Verschlüsseln von Dokumenten
  • Benutzung des offiziellen Portals eesti.ee
  • Gründung von Unternehmen in Estland
  • Einreichung einer estländischen Steuererklärung online
  • die Erstellung von Bankkonten (nach einmaliger persönlicher Vorstellung bei einer Bank in Estland)[23]

All dies ist den Bürgern und dauerhaften Bewohnern von Estland schon länger online möglich. Geleitet wird das Projekt von Taavi Kotka, dem stellvertretenden Kanzler der Kommunikations- und Informationssysteme des Wirtschaftsministeriums und einer der Gründer von Skype, ebenfalls ein ursprünglich estländisches Produkt.

Zu bekannten e-Residenten gehören u. a. Edward Lucas (Journalist bei The Economist) und Shinzō Abe, der amtierende Premierminister Japans. Nach dem ursprünglichen Vorschlag von Taavi Kotka beim Wettbewerb der Estoanian Development Foundation soll es bis 2025 10 Millionen e-Residenten geben. Vor allem Unternehmer sollen Internet-Unternehmen gründen und somit Steuern in Estland zahlen, wobei es komplizierte Fälle von Doppelbesteuerung geben könnte, wie der Ex-Finanzminister Estlands, Jürgen Ligi, zu bedenken gab. Anfang 2015 gab es vor allem Bewerbungen aus Finnland, Russland, Lettland, USA und Vereinigtes Königreich

Bevölkerung

Verteilung der russischsprachigen Minderheit in Estland nach dem Zensus aus dem Jahr 2010. Die russischsprachige Wohnbevölkerung konzentriert sich vor allem in der Nähe der Grenze zu Russland in den Industriestädten Kohtla-Järve und Narva sowie im Raum Tallinn. Auf den vorgelagerten Inseln Saaremaa (Ösel), Hiiumaa (Dagö) und Vormsi (Worms) leben dagegen auch heute nur wenige Russen, da diese zu Sowjetzeiten militärisches Sperrgebiet waren.

Neben der estnischen Mehrheit (68,95 %) gibt es eine starke russische Minderheit (25,48 %) sowie kleinere Gruppen von Ukrainern (2,05 %), Weißrussen (1,14 %) und Finnen (0,78 %). In Tallinn sind 45 % der Einwohner keine ethnischen Esten.

Estlands Bevölkerung nach Ethnien, 1922–2013
Ethnische
Herkunft
19221 19341 19591 19701 19791 19891 2000² 2006² 2011² 2013²
Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl %
Esten 969.976 87,6 992.520 88,1 892.653 74,6 925.157 68,2 947.812 64,7 963.281 61,5 935.884 68,2 921.908 68,6 924.100 69 898.845 69,9
Russen 91.109 8,2 92.656 8,2 240.227 20,1 334.620 24,7 408.778 27,9 474.834 30,3 354.660 25,8 345.168 25,7 341.450 25,5 324.431 25,2
Ukrainer 15.769 1,3 28.086 2,1 36.044 2,5 48.271 3,1 29.259 2,1 28.321 2,1 27.530 2,1 22.368 1,7
Weißrussen 10.930 0,9 18.732 1,4 23.461 1,6 27.711 1,8 17.460 1,3 16.316 1,2 15.315 1,1 12.327 1,0
Finnen 401 0,0 1.088 0,1 16.699 1,4 18.537 1,4 17.753 1,2 16.622 1,1 11.974 0,9 11.163 0,8 10.494 0,8 7.311 0,6
Tataren 166 0,0 1.534 0,1 2.204 0,2 3.195 0,2 4.058 0,3 2.610 0,2 2.500 0,2 2.428 0,2 1.973 0,2
Letten 1.966 0,2 5.435 0,5 2.888 0,2 3.286 0,2 3.963 0,3 3.135 0,2 2.345 0,2 2.230 0,2 2.177 0,2 1.748 0,1
Polen 969 0,1 1.608 0,1 2.256 0,2 2.651 0,2 2.897 0,2 3.008 0,2 2.212 0,2 2.097 0,2 1.993 0,1 1.629 0,1
Juden 4.566 0,4 4.434 0,4 5.433 0,5 5.282 0,4 4.954 0,3 4.613 0,3 2.178 0,2 1.939 0,1 1.770 0,1 1.958 0,2
Litauer 436 0,0 253 0,0 1.616 0,1 2.356 0,2 2.379 0,2 2.568 0,2 2.131 0,2 2.079 0,1 2.046 0,2 1.694 0,1
Deutsche 18.319 1,7 16.346 1,5 670 0,1 7.850 0,6 3.944 0,3 3.466 0,2 1.878 0,1 1.895 0,1 1.918 0,1 1.509 0,1
Schweden 7.850 0,7 7.641 0,7 435 0,0 254 0,0 297 0,0
Andere 11.467 1,0 4.266 0,4 6.116 0,5 6.883 0,5 9.042 0,6 13.798 0,9 9.480 0,7 9.068 0,7 8.973 0,7 10.686 0,8
Gesamt 1.107.059 1.126.413 1.196.791 1.356.079 1.464.476 1.565.662 1.372.071 1.344.684 1.340.194 1.286.479
1 Angaben nach [1] und [2].
2 Angaben nach [3]

Angaben jeweils am 1. Januar des Jahres

Nichtbürger

Setu

Trotz zahlreicher staatlicher Programme ist es noch nicht gelungen, die in der Zeit der Sowjetunion zugewanderten oder gezielt angesiedelten Einwohner nichtestnischer Nationalität vollständig zu integrieren. So haben etwa die Hälfte der russischstämmigen Einwohner Estlands noch keinen estnischen Pass.[24] Es gibt aber auch Russen, die ihre Familiennamen geändert haben, in der Hoffnung, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Andererseits nutzen auch viele einen Vorteil ihres Nicht-Bürger-Ausweises, der es ihnen ermöglicht, dass sie sowohl in die EU als auch nach Russland visafrei reisen können.[24]

Im Durchschnitt verfügen die Esten im Vergleich zu der russischsprachigen Minderheit über ein höheres Einkommen. Esten sind in Leitungspositionen überproportional vertreten, Russen sind eher im Dienstleistungs- und Produktionsbereich beschäftigt.

Mittlerweile lassen sich zahlreiche Nichtesten einbürgern. Das Einbürgerungsverfahren ist jedoch mit einem Sprachtest verbunden, den viele vor allem ältere Russen als unzumutbar und schwierig empfinden. Teilweise lehnen sie es aus Nationalstolz auch ab, Estnisch zu lernen. Jüngere Russen beherrschen vielfach Estnisch und tun sich mit den Aufnahmekriterien leichter. In letzter Zeit bringen Russen vermehrt ihre Kinder in die estnischen Kindergärten und Schulen, um ihnen eine bessere Integration zu ermöglichen.

Auf der anderen Seite sprechen die Esten wiederum immer weniger Russisch, was die Kommunikation mit den Geschäftspartnern aus Russland erschwert und so den Russisch sprechenden Einwohnern dahingehend Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet.

Von insgesamt etwa 100.000 Auslandsesten leben knapp 40.000 in Russland, 35.000 in Kanada und 15.000 in Schweden. Andere größere Gruppen gibt es noch in Finnland, Südafrika und in Australien. In Deutschland lebten 2010 etwa 4040 Esten.

Religion

Dom zu Tartu

Die Mehrheit der Esten gehört heute keiner Konfession an.

Religiöse Institutionen spielen nur noch für eine Minderheit der Bevölkerung eine Rolle. Traditionelle Religion der Esten ist der christliche Glaube in der Form des Luthertums, wie er in Skandinavien weit verbreitet ist. Die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche (EELK) ist eine quasi-offizielle Kirche (üblich ist beispielsweise die Abhaltung von Gottesdiensten zu Parlamentseröffnungen), und ihr Erzbischof ist die Zentralfigur der estnischen öffentlichen Religion. Die EELK dominiert auch die relativ umfassende Theologenausbildung in Estland (in Tartu an der Universität und in Tallinn an der Kirchlichen Hochschule). Heute bekennen sich weniger als 30 % der Bevölkerung als Mitglieder in christlichen Kirchen beziehungsweise Glaubensgemeinschaften. Davon sind:

Die zehn bedeutenden christlichen Kirchen und Gemeinschaften haben sich im Rat Christlicher Kirchen Estlands zusammengeschlossen.

Eine Besonderheit bilden die etwa 5000 Altorthodoxen, die seit dem 18. Jahrhundert vor der Verfolgung im russischen Kernland in die Randgebiete des Russischen Reiches flohen. Am estnischen Ufer des Peipussees gibt es zahlreiche von Altorthodoxen bewohnte Dörfer. Kleinere Gemeinden gibt es auch in Tallinn und Tartu.[25]

Zudem sind etwa 4000 Personen Mitglied der christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas.[26]

Zum jüdischen Glauben bekennen sich nur noch etwa 0,1 % der estnischen Bevölkerung.[27]

Daneben gibt es kleinere Gemeinden sonstiger protestantischer, jüdischer und islamischer Gemeinschaften, außerdem neopagane Gruppen.[28]

Bildungswesen

Die Universität Tartu ist die älteste Universität Estlands und dessen einzige Volluniversität

Nach der Unabhängigkeit wurde Russisch als erste Fremdsprache durch Englisch ersetzt. Zum Teil beginnt der Englischunterricht bereits im Kindergarten. Nicht synchronisierte englischsprachige Fernsehsendungen fördern das Erlernen des Englischen erheblich.

In Estland gibt es zwölf anerkannte Universitäten, davon sieben staatliche und fünf private Universitäten sowie 26 weitere Hochschulen.

In vielen Schulen Tallinns gibt es elektronische Klassenbücher. Das ermöglicht Lehrern wie auch den Eltern, von zu Hause aus Einsicht in die Einträge über die Schüler zu erhalten. Das erforderliche Computer-Programm wird den Eltern vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellt.

Bereits Ende der 1990er Jahre hatte jede Schule einen Internetzugang.

Gesundheitswesen

Laut WHO hat Estland mit geschätzt 10.000 Infizierten die höchste HIV-Infektionsrate in der WHO-Region Europa: 0,58 % der Bevölkerung[29] (1,3 % der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren). Am meisten betroffen sind Strafgefangene sowie Angehörige der russischsprachigen Minderheit in Kohtla-Järve, Narva und Tallinn. Allerdings werden in Estland vergleichsweise viel mehr HIV-Tests durchgeführt als in den anderen europäischen Ländern, auch werden ausnahmslos alle schwangeren Frauen per Gesetz auf HIV getestet.

Verwaltungsgliederung

FinnlandLettlandRusslandKreis HiiuKreis SaareKreis LääneKreis HarjuKreis Lääne-ViruKreis Ida-ViruKreis RaplaKreis JärvaKreis JõgevaKreis TartuKreis PõlvaKreis VõruKreis ValgaKreis ViljandiKreis Pärnu
Kreiseinteilung Estlands (anklickbar)

Das Gebiet der Republik Estland gliedert sich in 15 Landkreise, 34 Städte, 11 Minderstädte sowie zahlreiche Siedlungen und Dörfer. Die estnische Verwaltungsgliederung unterliegt folgender hierarchischen Einteilung:

  • Republik Estland (Eesti Vabariik)
    • Landkreis (maakond)
      • Gemeinde (omavalitsus): Stadtgemeinde (linn) oder Landgemeinde (vald)
        • Minderstadt (alev) – teilweise auch als Städte kategorisiert
          • Siedlung (alevik)
            • Dorf (küla)

Landkreise

Estland gliedert sich in 15 Landkreise (estnisch pl. maakonnad, sing. maakond):

Kreis Verwaltungssitz Code 1
Harju Tallinn EE-37
Hiiu Kärdla EE-39
Ida-Viru Jõhvi EE-44
Jõgeva Jõgeva EE-49
Järva Paide EE-51
Lääne Haapsalu EE-57
Lääne-Viru Rakvere EE-59
Põlva Põlva EE-65
Pärnu Pärnu EE-67
Rapla Rapla EE-70
Saare Kuressaare EE-74
Tartu Tartu EE-78
Valga Valga EE-82
Viljandi Viljandi EE-84
Võru Võru EE-86

1 Code nach ISO 3166-2

Für die Vergleichbarkeit von Daten innerhalb der EU wurde Estland auf der Ebene NUTS 3 in fünf Regionen (Statistikeinheiten) unterteilt, zu deren Bildung die obigen Landkreise wie folgt zusammengestellt wurden:

Region Landkreise Code
Nordestland Harju EE001
Westestland Hiiu, Lääne, Pärnu, Saare EE004
Zentralestland Järve, Lääne-Viru, Rapla EE006
Nordostestland Ida-Viru EE007
Südestland Jõgeva, Põlva, Tartu, Valga, Viljandi, Võru EE008

Städte

Die Hauptstadt von Estland – Tallinn
Rathaus von Tartu
Stadt Kreis Einwohner
31. März 2000 1. Januar 2005
Tallinn (deutsch: Reval) Harju 400.378 396.010
Tartu (deutsch: Dorpat) Tartu 101.169 101.483
Narva (deutsch: Narwa) Ida-Viru 68.680 67.144
Kohtla-Järve (deutsch: Kochtel-Türpsal) Ida-Viru 47.679 46.032
Pärnu (deutsch: Pernau) Pärnu 45.500 44.396
Viljandi (deutsch: Fellin) Viljandi 20.756 20.354
Sillamäe (deutsch: Sillamäggi) Ida-Viru 17.199 16.678
Rakvere (deutsch: Wesenberg) Lääne-Viru 17.097 16.786
Maardu (deutsch: Maart) Harju 16.738 16.601
Kuressaare (deutsch: Arensburg) Saare 14.925 14.897
Võru (deutsch: Werro) Võru 14.879 14.609
Valga (deutsch: Walk) Valga 14.323 13.980
Jõhvi (deutsch: Jewe) Ida-Viru 12.112 11.533
Haapsalu (deutsch: Hapsal) Lääne 12.054 11.809
Paide (deutsch: Weißenstein) Järva 9.642 9.744
Keila (deutsch: Kegel) Harju 9.388 9.401
Kiviõli Ida-Viru 7.405 6.992

Wirtschaft

Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit organisierte Estland sein Gemeinwesen nach skandinavischem Vorbild völlig um: wenig Hierarchien, viel Transparenz der staatlichen Organe, moderne Kommunikationstechnik. Jedoch zeigt das Wirtschaftsmodell des Landes im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarn, die eher auf Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft setzen, marktliberale Züge.[30]

Bruttoinlandsprodukt

Datei:Tallinn CBD.jpg
Innenstadt von Tallinn

Nach der Überwindung der Russlandkrise (ab 2000) weist die Wirtschaft aller drei baltischen Staaten ein hohes Wachstum auf, allerdings ausgehend von einem niedrigen Ausgangszustand nach der Krise. In Estland lag der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) (real) seither bei jährlich mindestens 5 %. 2006 war Estland mit einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 10,8 % der Spitzenreiter der Europäischen Union.

Die Finanzkrise machte sich in Estland bereits zum Jahresbeginn 2008 bemerkbar, ab dem zweiten Quartal lagen die BIP-Werte inflationsbereinigt unter denen des Vorjahres. Für das Gesamtjahr war ein Rückgang um 2 % zu erwarten. Hauptgrund war vor allem die stark zurückgegangene Inlandsnachfrage (Bausektor, Einzelhandel).[31]

Das BIP belief sich für 2008 auf gut 250 Milliarden Estnische Kronen (EEK), gut 16 Milliarden Euro.[32] Pro Kopf der Bevölkerung sind das 12.000 Euro (zum Vergleich: Deutschland 27.200 Euro). Vergleicht man das BIP nach Kaufkraftstandards (also nach der Kaufkraft eines Euros) mit dem Durchschnitt der EU (EU-27:100) erreichte Estland 2008 bereits einen Wert von knapp 65 (Deutschland: 112). Verglichen mit dem Jahr 2000 steigerte sich dieser Wert inflationsbereinigt um fast die Hälfte (+45 %; damals: 44,6).[33]

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Estlands betrug im Jahr 2013 nunmehr 18,7 Mrd. Euro. Das Pro-Kopf-BIP betrug im selben Jahr 14.1226 Euro. Das Wirtschaftswachstum lag 2014 bei 2,1 %. [34]

Das regelmäßig hohe Wachstum der baltischen Länder hat ihnen die Bezeichnung Baltische Tiger eingebracht.

Geografische Verteilung

Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivitäten konzentriert sich auf die Region rund um die Hauptstadt Tallinn (Harjumaa), die knapp 40 % der Bevölkerung Estlands beherbergt. Gut 60 % des Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet (2006), in der Branche ‚Handel‘ über 70 %. Zentrum der Landwirtschaft sind die Regionen Zentral- und Südostestland, die bei einem Anteil von 35 % an der estnischen Gesamtbevölkerung 63 % der landwirtschaftlichen Produktion erzeugen (inklusive Forstwirtschaft). In Nordostestland (Ida-Virumaa) dominiert dagegen aufgrund der Verarbeitung der lokalen Ölschiefer-Vorkommen die Energiewirtschaft (30 % des nationalen Produkts dieser Branche bei einem Bevölkerungsanteil von 13 %).[35]

Währungssystem

Am 27. Juni 2004 traten Estland und weitere zwei der zehn neuen EU-Länder dem Wechselkursmechanismus II im Rahmen des EWS II bei, der erste Schritt, um den Euro einzuführen. Estland, Litauen und Slowenien legten die Leitkurse ihrer Währungen zum Euro fest und verpflichteten sich ab sofort, die Schwankungen unter ±15 % zu halten. Bis zum Beitritt des Landes zum Euro am 1. Januar 2011 lag der Leitkurs für die estnische Krone bei 15,6466 pro Euro, was eine maximale Schwankungsbreite von (gerundet) 13,30 bis 17,99 Kronen bedeutete. Der Kurs ergab sich durch die seit 1993 festgelegte Kopplung der Krone zur Deutschen Mark im Verhältnis 1 DEM = 8 EEK. Estland verpflichtete sich (wie auch Litauen) zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik.

Das Design der estnischen Euromünzen wurde 2004 in einer öffentlichen Wahl bestimmt. Die Einführung des Euro musste jedoch mehrfach verschoben werden und fand am 1. Januar 2011 statt. Am 12. Mai 2010 bescheinigten die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank Estland die Erfüllung aller EU-Konvergenzkriterien. Im Juni 2010 stimmten die EU-Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs der EU der Aufnahme Estlands in die Eurozone zu.[36][37] Einen Monat später legten die Finanzminister den offiziellen Wechselkurs von 15,6466 estnischen Kronen für einen Euro fest.[38]

Preise und Löhne

Bis 2003 gab es eine deutliche Verlangsamung der Teuerung, seit dem EU-Beitritt 2004 steigt die Teuerungsrate aber wieder an (1,3 %). Die vergleichsweise hohen Preissteigerungen der Vorjahre (im Schnitt bei 5 %) hatten – bei stabiler Währung – in Estland zu deutlich höheren Lebenshaltungskosten als in den Nachbarstaaten Lettland und Litauen geführt. Entsprechend sind die vergleichsweise hohen Durchschnittslöhne von 812,70 Euro (2. Quartal 2009) (zum Vergleich: Lettland 667,33 Euro (Mai 2009)) nicht automatisch mit einem höheren Lebensstandard gleichzusetzen.

Produktion

Vorherrschende Industriezweige sind (2002) die Holz-, Papier- und Möbelindustrie (25 %) und die Nahrungsmittelindustrie (28 %). Große Zuwächse gab es in der Elektroindustrie / Maschinen- und Fahrzeugteilebau (18 %), wo Estland mit Norma einen der weltweit größten Hersteller für Sicherheitsgurte beherbergt.

Bedeutende Unternehmen des produzierenden Gewerbes in Estland:

Investitionen

Estland hat mit Stand 31. Dezember 2004 knapp 7 Mrd. Euro ausländisches Kapital an Direktinvestitionen angezogen, das sind 5170 Euro pro Kopf und fast 80 % des jährlichen BIP (zum Vergleich Litauen: knapp 1350 Euro pro Kopf). Bedeutendstes Herkunftsland von Direktinvestitionen (FDI) in Estland ist mit weitem Abstand Schweden. Die Investitionen in Höhe von annähernd 3,2 Mrd. Euro wurden vor allem im Bereich Bankwesen und Telekommunikation getätigt. Es folgen Finnland (1,7 Mrd. Euro) und mit bereits großem Abstand die USA (300 Mio. Euro). Aus Deutschland stammen bisher lediglich 157 Mio. Euro, unwesentlich mehr als aus Österreich (104 Mio. Euro).

Ausländische Investoren sind zum Beispiel:

  • Finanzwesen: Swedbank (S): 60 % an Hansapank, SEB (S): an SEB Pank, Sampo (FIN), If (S/Versicherung), Ergo (D/Versicherung), Nordea (FIN/Leasing)
  • Telekommunikation: TeliaSonera (S-FIN): an Eesti Telekom (Telekommunikation), Tele 2 (S)
  • Energie: Shell bzw. Statoil (UK bzw. N/Tankstellen), E.on Ruhrgas, Fortum und Gazprom (D/FIN/RU) an Eesti Gaas, Daikia (F) an Tallinna Küte (Wärme)
  • Textil: Tolaram (SGP) 100 % an Baltex 2000, Bora’s Wäfveri (S) an Krenholm
  • Baustoffe: Atlas Nordic Cement (FIN) an Kunda Nordic Tsement
  • Holzverarbeitung: Tolaram (SGP): 100 % an Horizon, Atlantic Veneer Group (USA) an Balti Spoon (Holzplatten, Möbel)
  • Nahrungsmittel: HK Ruokatalo (FIN) an Rakvere Lihakombinaat (Fleisch), Olvi an A. Le Coq (Bier und andere Getränke), Carlsberg an Saku (Brauerei), Procordia Food (S) an Felix Pöltsamaa (Konserven)

Außenhandel

Haupthandelspartner Estlands sind die Nachbarländer Schweden, Finnland, Lettland und Litauen. Aber auch Deutschland ist ein wichtiger Partner: 8 % der Exporte gehen nach Deutschland und sogar 13 % der Importe kommen aus Deutschland (jeweils Rang 3).

Hauptexportprodukte sind Maschinen und Maschinenteile (27 % der Ausfuhrgüter), gefolgt von Holz und Holzprodukten / Möbeln (13 %). Erst dann folgen Textilien (9 %), Metalle und Metallprodukte (8 %) und Nahrungsmittel (7 %). Trotz der im Vergleich zu den baltischen Nachbarländern etwas höherwertigen Ausfuhrprodukte ist die Handelsbilanz anhaltend deutlich negativ (mit sogar steigender Tendenz): Exporten im Wert von 4,7 Milliarden Euro stehen Importe im Wert von 6,7 Milliarden Euro (2004) gegenüber. Dadurch bleibt auch die Zahlungsbilanz (inkl. Finanztransfers/Direktinvestitionen, Dienstleistungen) negativ, das Defizit erreichte 2004 13 % des BIP-Wertes.

Infrastruktur

Im Verkehrswesen spielen die Straße und die Schifffahrt auf der Ostsee die wichtigste Rolle, im Güterverkehr auch die Eisenbahn.

Telekommunikation

Einer von vielen WLAN-Hot-Spots in Tartu

In Estland kam es in nur wenigen Jahren zu einer wahren elektronischen Revolution: Seit dem Jahr 2000 garantiert der Staat per Gesetz seinen Bürgern einen Zugriff auf das Internet.[39] Im ganzen Land gibt es WLAN-Zugangspunkte zum Internet, mit denen die bewohnten Flächen abgedeckt werden.[40] Rund 99 Prozent des Landes sind mit diesem kostenlosen Hot-Spot-Netz abgedeckt. Wer keinen eigenen Rechner hat, darf gratis an einem von 700 öffentlichen Terminals in Postämtern, Bibliotheken oder Dorfläden ins Netz. Eine solche Regelung ist in Europa einmalig. In Estland sind außerdem alle Schulen online. Seit 2005 kann bei Wahlen auch über das Internet abgestimmt werden. Estland verfügt über die meisten Internetanschlüsse pro Kopf weltweit.[41]

Straßen

Von Tallinn aus gehen sternförmig autobahnähnlich ausgebaute Schnellstraßen in die Richtungen Pärnu (Via Baltica), Tartu und Narva aus.

Die längste Schnellstraße bildet derzeit die Nationalstraße 1 nach Narva. Die Nationalstraße 2 nach Tartu wird sukzessive immer weiter ausgebaut. Die Via Baltica (Nationalstraße 4) nach Pärnu ist dagegen nur auf den ersten 20 Kilometern autobahnähnlich ausgebaut und führt anschließend als Landstraße weiter nach Pärnu und zur lettischen Grenze bei Ikla. Zur Schnellstraße ausgebaut wird derzeit (Stand: 2015) auch die Umfahrung von Tallinn (Nationalstraße 11).

Asphaltiert sind derzeit (2008) überwiegend nur Straßen von überbezirklicher Bedeutung. Viele kleine Ortschaften werden aus nur einer Richtung von einer asphaltierten Stichstraße erschlossen. Die übrigen Straßen sind unbefestigt. Im Land erhältliche Karten im Maßstab 1:200.000 weisen sehr genau aus, welche Straßen asphaltiert sind und welche nicht; von Jahr zu Jahr sind Fortschritte zu verzeichnen.

Es gibt so gut wie keine separaten Radwege; wenn eine überörtliche Straße, wie die Via Baltica, abschnittsweise als Schnellstraße mit zweimal zwei Fahrspuren ausgebaut ist, wird sie nichtsdestoweniger von Radfahrern mitbenutzt. Wegen der Konzentration des Verkehrs auf die asphaltierten Straßen ist der Verkehr dort in manchen Gegenden nicht weniger dicht als auf Straßen ähnlichen Ausbauzustands im engbesiedelten Mitteleuropa.

Estland hat als erstes Land der EU und der Welt ein landesweites, öffentlich getragenes Ladesystem für das Aufladen der Batterien von Elektroautos.[42] Die 165 Schnellladesäulen sind nach dem CHAdeMO-Standard ausgerüstet. Sie sind im gesamten Land verteilt, auch auf den estnischen Inseln und haben einen maximalen Abstand von 40–60 km. Sie können mit einer verfügbaren Smartphone-App gefunden werden. Durch das dichte Netz und 30-minütige Schnellladungen soll so eine landesweite Elektromobilität gewährleistet werden. Das System arbeitet mit einem einheitlichen Buchungssystem und verfügt über verschiedene, teils recht günstige Tarifmodelle.[43] Mit dem Ladestationsnetz ist Estland im europäischen Vergleich führend, obwohl es mit Norwegen ein Land mit noch höherer Durchdringung von Elektroautomobilen gibt. Hier weist Estland eine Rate von einem Elektroauto pro 1000 Einwohner auf, Norwegen hingegen vier pro 1000 Einwohner.[42]

Eisenbahn

Die estnische Eisenbahn wird von der Eesti Raudtee (Güterverkehr sowie elektrifizierte Passagierstrecken, siehe Elron) sowie der Edelaraudtee (Passagierverkehr, längere Strecken, Dieselzüge) betrieben. Der internationale Personeneisenbahnverkehr beschränkt sich auf Verbindungen nach Moskau und St. Petersburg, wobei diese wegen wiederkehrender Betriebsprobleme, die vor allem auf die anhaltenden Spannungen mit Russland zurückgehen, nicht sonderlich rentabel sind (immer wieder fallen Züge aus; weiterhin benötigen sowohl Esten als auch estnische Russen zur Einreise nach Russland ein Visum, das im Voraus bezogen werden muss, vergleichsweise teuer ist und durchaus nicht immer rechtzeitig ausgestellt wird).

Im innerestnischen Personenverkehr spielte die Eisenbahn nach ihrer insofern gescheiterten Privatisierung und der anschließenden Stilllegung zahlreicher Strecken fast keine Rolle mehr, jedoch steigen die Passagierzahlen wieder an. Das verbliebene Netz besteht aus einem binären Baum mit Wurzel in Tallinn. Der überörtliche öffentliche Verkehr wird noch immer großenteils durch Überlandbusse abgewickelt, jedoch macht die Eisenbahn dank niedrigerer Preise vor allem auf den Strecken Tallinn–Tapa–Narva, (Tallinn–)Tapa–Tartu und Tallinn–Pärnu Boden gut. Mittlerweile ist auch in den Zügen drahtloses Internet verfügbar, wenn auch nur in der 1. Klasse. Seit Mitte 2013 bis Anfang 2014 wurde die gesamte veraltete innerestnische Zugflotte gegen moderne elektrische sowie dieselelektrisch betriebene Züge vom Typ Stadler FLIRT ausgetauscht und wird ausschließlich von der staatseigenen Unternehmen Elron betrieben.

Schifffahrt

Sillamäe

Hochseehäfen befinden sich in Tallinn, Muuga, Pärnu, Paldiski und Sillamäe.

Am 28. September 1994 sank die estnische Fähre Estonia vor der Küste Finnlands auf der Überfahrt nach Stockholm. Bei dem Unglück starben 852 Menschen.

Flugverkehr

Flughafen Tallinn-Lennart Meri

Der wichtigste Flughafen Estlands ist der internationale Flughafen Tallinn; er ist Heimatflughafen der estnischen Fluggesellschaften Nordica und Avies. Daneben existieren ein weiterer internationaler Flughafen in Tartu sowie kleinere Flughäfen in Pärnu, Kuressaare und Kärdla sowie auf Kihnu und Ruhnu.

Nordica bedient von Tallinn aus internationale Ziele in Europa. Avies verbindet mit kleinen Turboprop-Flugzeugen von Tallinn aus die vorgelagerten Inseln Saaremaa und Hiiumaa.

Ausländische Fluggesellschaften, die Tallinn anfliegen, sind Air Baltic (von Riga und Vilnius), Lufthansa (von Frankfurt am Main und München), Easyjet (von London-Stansted), Ryanair (von Weeze und Bremen), SAS (von Stockholm), LOT (von Warschau), Czech Airlines (von Prag) und KLM (von Amsterdam).

Kultur

Estnisches Nationalmuseum

Estland war durch seine politische Entwicklung und Besiedlungsgeschichte immer ein interkulturelles Land. Die Oberherrschaft hatte zunächst Dänemark, 1252–1561 der Deutsche Orden, danach Schweden und im 18. bis 19. Jahrhundert Russland. Die estnische Kultur und Architektur wurde über einen Zeitraum von etwa 800 Jahren stark durch die ortsansässige deutschbaltische Oberschicht geprägt. Die großen Städte, insbesondere Tallinn (unter dem alten Namen Reval) waren stark von der Kultur der Hanse geprägt. Vom Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert bildeten die deutschen Kaufleute das tonangebende Element in Tallinn. Ab 1850 setzte eine verstärkte Russifizierung unter den Zaren ein. Ein Gegengewicht dazu bildeten baltische Studentenverbindungen und ab den 1870er Jahren vor allem die Universität Tartu (Dorpat).

In der Wissenschaft blieb der westliche Einfluss – wie auch im zaristischen Russland – stark, allein schon durch die bis 1870 deutschsprachige Universität. So erhielt sie 1811 durch Initiative deutscher Wissenschaftler die Sternwarte Dorpat, und auch die folgenden 7 Direktoren bis 1900 kamen aus Deutschland. Der berühmteste, Friedrich Wilhelm Struve, wechselte allerdings 1839 an die neu errichtete Sternwarte Pulkowo bei St. Petersburg.

Einen kulturellen Umbruch erfuhr Estlands Kultur durch den Verlust deutscher und schwedischer Bevölkerungsanteile infolge des Zweiten Weltkriegs und den Zuzug von Russen und anderer Volksgruppen während der sowjetischen Zeit.

Heute orientiert sich die estnische Kultur wegen der Verwandtschaft des Estnischen zum Finnischen stark am nördlichen Nachbarn Finnland. Sie ist weitgehend westlich ausgerichtet und unterhält zahlreiche Kooperationen mit deutschen Gesellschaften, evangelischen Kirchen (Nordelbische Kirche) und Universitäten (Göttingen, Greifswald, Kiel, Konstanz, München und Münster).

Die estnische Literatur spiegelt diese vielfältigen Einflüsse wider – in Estland wurde neben Deutsch und Estnisch auch in Lettisch, Ostschwedisch und Finnisch, Russisch, Latein, Griechisch und Französisch geschrieben. Das literarische Forschungsprojekt EEVA der Universität Tartu und des Estnischen Literaturmuseums ist bestrebt, diesen multilingualen Kulturraum des Baltikums ab dem 13. Jahrhundert digital zu dokumentieren.

Das estnische Nationalepos ist der Kalevipoeg.

Medienlandschaft

Neben den drei estnischsprachigen Fernsehsendern ETV Eesti Televisioon (öffentlich-rechtlich), Kanal 2 (vom norwegischen Unternehmen Shibsted) und TV3 Eesti (von der schwedischen Modern Times Group) empfängt man in Estland zahlreiche fremdsprachige Sender über Terrestrik, Satellit und Kabel (mit vier Kabelnetzbetreibern). So ist es üblich, dass man noch finnische, schwedische, russische, englische und deutsche Sender empfängt. Das Staatsfernsehen Russlands startete einen Ableger für Estland namens Perwyj Baltijskij Kanal Estonia (Der erste baltische Kanal Estland).

Estnisches Fernsehen über Satellit gibt es im Pay-TV-Paket des skandinavischen Anbieters „Viasat“ auf der Satellitenposition 5° Ost (Sirius 4), die auch in Mitteleuropa empfangbar ist. Wer das Viasat-Paket abonniert, erhält neben TV3 und TV3+ russische, finnische, schwedische, norwegische, dänische und englischsprachige Sender. Auf dem gleichen Satelliten sind die baltischen MTV-Ableger MTV Eesti, MTV Latvija und MTV Lietuva im Abonnement erhältlich.

Spartenprogramme sind aufgrund des kleinen Marktes in Estland nicht vertreten. Wie auch in Skandinavien ist es im Baltikum wegen der hohen Übersetzungskosten weitgehend üblich, dass die Sender ausländische Fernsehproduktionen im Original mit estnischen Untertitel-Einblendungen senden, also ohne Synchronübersetzung wie in Deutschland.

Es gibt fünf öffentlich-rechtliche Radioprogramme. Vikerraadio ist das informationsorientierte Hauptprogramm. Raadio 2 bedient das jüngere Publikum. Raadio 4 sendet auf russisch. Klassikaraadio bringt Klassik, Folklore, Jazz und Weltmusik. Raadio Tallinn sendet von 9:00 bis 19:00 Uhr ohne Unterbrechung Musik und übernimmt in der übrigen Zeit Programme der BBC, der DW und von RFI.

Etwa 97 Prozent der estnischen Bevölkerung besitzen ein Fernsehgerät.

Mit einer Gesamtauflage von 523 Tageszeitungen pro 1000 Einwohnern hat Estland eine der höchsten Zeitungsleseraten der Welt.[44]

Rund 64 % der Bevölkerung verfügt über einen Internetanschluss; 2007 waren 20,8 % aller Haushalte mit Breitband-Internetzugang versorgt.[45]

Musik

Estnische Volkstanzgruppe als Kulturträger auf Auslandsreise

Weltweit bekannt ist Arvo Pärt, ein zeitgenössischer Komponist moderner Klassik. Rudolf Tobias, ausgangs des 19. Jahrhunderts der erste estnische Komponist, ist Kennern der Chormusik durch seine Motetten auch außerhalb Estlands ein Begriff. Eduard Tubin machte im 20. Jahrhundert durch seine romantischen bis atonalen Sinfonien auf Estland aufmerksam, was im Jahr 2005 durch ein großes Festival gewürdigt wurde. Neeme Järvi ist Dirigent von Weltruf, ebenso sein Sohn Paavo Järvi (derzeit Cincinnati Symphony Orchestra und hr-Sinfonieorchester Frankfurt). Im Populärbereich kommt dem Pianisten Olav Ehala eine große Bedeutung zu, der zahlreiche Filmmusiken schrieb und bei Theaterproduktionen mitwirkt. Ester Mägi schreibt ähnlich wie Veljo Tormis viele Kompositionen und Volkslieder für Chor um, die während der Besatzungszeit der Sowjetunion in Vergessenheit zu geraten drohten und seit der Unabhängigkeit sehr populär geworden sind. Zu erwähnen ist das alle fünf Jahre stattfindende Sängerfest, wo Zehntausende, vereint zu einem Chor, nationales Liedgut singen.

Die Tradition des estnischen Sängerfests wurde 1869 begründet

Estland ist momentan auch sehr erfolgreich mit Acts wie Eda-Ines Etti, J.M.K.E., Tanel Padar, Malcolm Lincoln, Vaiko Eplik, Kerli und Vanilla Ninja in die europäische Pop-Kultur integriert.

Estland konnte beachtliche Erfolge beim Eurovision Song Contest erreichen, den Dave Benton gemeinsam mit Tanel Padar 2001 für das Land gewann. Der Eurovision Song Contest 2002 fand daraufhin in Tallinn statt.

Architektur

Das Schloss von Sangaste

Die estnischen Städte werden immer noch von den Holzhäusern geprägt, auch wenn die sowjetischen Plattenbauten dazwischen ragen. Heutzutage wird viel mit Schiefer gebaut. Das höchste Bauwerk Estlands ist der Fernsehturm in Tallinn (314 Meter), der in den Jahren 1975–1980 anlässlich der Olympischen Spiele in Moskau erbaut wurde.

In den Tagen des Staatsstreiches in Moskau (August 1991) sollte er von russischen Truppen besetzt werden, was durch die estnische Polizei und Demonstranten verhindert wurde. Der Turm gehört trotzdem nicht zu den besonderen nationalen Symbolen des neuen Estland. Ein möglicher Grund ist seine Lage – der Fernsehturm liegt weitab von der Innenstadt am stadtnahen Wald.

Das vierthöchste Bauwerk Estlands mit einer Höhe von 254 Metern ist der Mast des Senders Kothla.

Sport

JK Tammeka Tartu und JK Trans Narva

Der Sport hat in Estland einen hohen Stellenwert. Bereits 1920 nahm das Land erstmals an den Olympischen Sommerspielen teil und setzten diese eigenständige Teilnahme auch bis zur Besetzung durch die UdSSR 1940 fort. Nach deren Ende und der estnischen Unabhängigkeit formierten sich die nationalen Sportverbände erneut. Olympische Medaillen konnte das Land vor allem im Gewichtheben, Ringen und Skisport gewinnen. Der sowjetische Schach-Großmeister Paul Keres kommt aus Estland. Auch bei der Ästhetischen Gruppengymnastik ist Estland eine Hochburg.

Während Fußball in Estland vor dem Zweiten Weltkrieg noch zu den beliebtesten Sportarten zählte, änderte sich das mit der sowjetischen Besatzung. Von nun an wurde Fußball als Machtinstrument missbraucht, und es folgten die Auflösung des estnischen Fußballverbandes, die Umbenennung der Vereine und die Eingliederung der Nationalmannschaft in das sowjetische Team. Als russische Sportart verpönt, wurde Fußball immer unbeliebter und erlangte erst nach der Unabhängigkeit wieder zunehmende Popularität. Im Jahr 2011 ist Fußball mit 20.000 Aktiven wieder beliebteste Sportart in Estland.[46]

Feiertage

Siehe auch

Portal: Estland – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Estland

Literatur

  • Gert Walter: Estland: Geschichte und Gegenwart einer jungen Sowjetrepublik. Verlag der Nation, Berlin 1968, DNB 458570079.
  • Seraina Gilly: Der Nationalstaat im Wandel. Estland im 20. Jahrhundert. Lang, Bern u. a. 2002, ISBN 3-906769-19-4 (= Arbeiten aus dem Historischen Seminar der Universität Zürich, Band 97, Dissertation Universität Zürich 2001).

Weblinks

Wiktionary: Estland – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Estland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Estland – Quellen und Volltexte
Wikimedia-Atlas: Estland – geographische und historische Karten
Wikivoyage: Estland – Reiseführer

Einzelnachweise

  1. S. Tambur: Estonia 100 square kilometers larger than thought. Abgerufen am 17. Juli 2015.
  2. Statistikamt Estland, Datenbankanfrage, 5. Mai 2015
  3. International Monetary Fund, World Economic Outlook Database, April 2014
  4. Human Development Report Office: Estonia – Country Profile: Human Development Indicators, abgerufen am 26. Oktober 2014
  5. Yearbook Forest 2008. Auf: keskkonnainfo.ee. Abgerufen am 8. Oktober 2015 (PDF; 9,6 MB).
  6. nordwest radio Deportationen in Estland (Memento vom 28. Juni 2004 im Internet Archive)
  7. Estonia’s accession to the OECD, OECD, 9. Dezember 2010. Abgerufen am 22. Juli 2016 (englisch). 
  8. derstandard.at: Stimmabgabe bei Parlamentswahl künftig per Handy
  9. Eckhard Jesse, Tom Thieme: Extremismus in den EU-Staaten. VS Verlag, 2011, ISBN 978-3-531-17065-7, S. 102 (PDF).
  10. seit 1995 in gemeinsamer Liste mit Koalitionspartei als Bündnis Maarahva Ühendus aus Eesti Pensionäride ja Perede Erakond (gegründet 1991), Eesti Maarahva Erakond (gegründet 1994) und Eesti Maaliit (gegründet 1991), 1999 Gründung als Partei
  11. 2000 oder 2002 aufgelöst
  12. von 1992 bis 1999 Die Moderaten (bis 1996 eine Wahlallianz von Eesti Sotsiaaldemokraatlik Partei (Estnische Sozialdemokratische Partei) und Eesti Maa-Keskerakond (Estnische Land-Zentrumspartei), danach fusioniert), nach Fusion mit Eesti Rahvaerakond (Volkspartei) 1999–2004 Volkspartei – Die Moderaten, 2004 Umbenennung in Sotsiaaldemokraatlik Erakond (ebenfalls mit „Estnische Sozialdemokratische Partei“ übersetzt)
  13. 1992–1994 ihr Vorläufer Liberaldemokratische Partei
  14. a b Seit 2006 fusioniert zu Isamaa ja Res Publica Liit
  15. a b c d 1992 bis 1995 separate Parteien Eesti Rahvusliku Sõltumatuse Partei (Partei der nationalen Unabhängigkeit Estlands) und Rahvuslik Koonderakond „Isamaa“ (Nationale Koalitionspartei „Vaterland“), 1995 fusioniert
  16. gemeinsame Liste von Volksunion und Koalitionspartei
  17. Defence Development Plan
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Koordinaten: 59° N, 26° O