Die 85. Tour de France fand vom 11. Juli bis 2. August 1998 statt und führte auf 21 Etappen über 3877 km. Es nahmen 189 Rennfahrer daran teil, von denen nach Ausschlüssen und Rückziehern von Teams aufgrund eines schweren Doping-Skandals nur 96 klassifiziert wurden.
Strecke
Die Tour startete in der irischen Hauptstadt Dublin und blieb noch zwei weitere Tage auf der Insel. In entgegengesetztem Uhrzeigersinn ging es von der Bretagne nach einer Reihe von Flachetappen zunächst in die Pyrenäen, anschließend in die Alpen. Außer dem Prolog wurden zwei Einzelzeitfahren ausgetragen, ein Mannschaftszeitfahren gab es wie schon in den beiden Jahren zuvor nicht. Etappenorte außerhalb Frankreichs waren außer in Irland in der Schweiz.
Favoriten
Die Festina-Affäre dezimierte von vornherein nicht nur das Fahrerfeld allgemein, sondern nahm schon vor Beginn einige Favoriten aus dem Rennen wie Alex Zülle oder Richard Virenque, den Vorjahreszweiten. Beide gehörten zum Festina-Team. Somit galt nur Vorjahressieger Jan Ullrich als ernstzunehmender Favorit. Marco Pantani hatte zwar schon im Frühjahr den Giro d’Italia gewonnen und wurde bei der Tour 1997 Dritter. Seine Qualitäten im Zeitfahren galten jedoch als nicht gut genug, um als Sieganwärter zu gelten.
Rennverlauf
Nach den Flachetappen, die größtenteils die Sprinter unter sich ausmachten (mit Ausnahme eines Etappensiegs von Jens Heppner), gewann Ullrich das erste große Zeitfahren vor Tyler Hamilton und Bobby Julich. Pantani hatte bereits einen Rückstand von über vier Minuten, Ullrich übernahm die Führung in der Gesamtwertung. Zwar konnte für zwei Tage Laurent Desbien Ullrich das Gelbe Trikot abnehmen, was der Lohn für eine gelungene Flucht war, bei der die Ausreißergruppe über sieben Minuten vor dem Hauptfeld ins Ziel kam. Ullrich blieb aber in der Gesamtwertung vor seinen direkten Konkurrenten und übernahm nach der ersten Etappe im Hochgebirge der Pyrenäen in Luchon wieder das Gelbe Trikot. Es lief also alles nach Plan für Ullrichs zweiten Toursieg.
Die Führung konnte der Deutsche bis in die Alpen behaupten. Noch in Grenoble hatte er in der Gesamtwertung einen Vorsprung von 1:11 Minuten auf Bobby Julich. Marco Pantani hatte einen Rückstand von 3:01 Minuten. Auf der Königsetappe nach Les Deux Alpes sollte Ullrich seinen Vorsprung einbüßen. Von Nässe und Kälte und einem Hungerast gepeinigt, schleppte er sich abgeschlagen mit einem Rückstand von 8:57 Minuten hinter Tagessieger Pantani hinauf ins Ziel. Pantani übernahm das Gelbe Trikot, Ullrich war nun Vierter mit einem Rückstand von fast sechs Minuten. Gewillt nicht aufzugeben, gewann er die anschließende 16. Etappe nach Albertville, den Rückstand auf Pantani verkürzen konnte er nicht. Die 17. Etappe wurde nicht ausgetragen, die Fahrer zogen in einen Streik gegen die schlechte Behandlung ihrer Kollegen aufgrund der Dopingfälle. Sämtliche spanischen Mannschaften traten nicht mehr an.
Das Zeitfahren auf der vorletzten Etappe konnte Ullrich erneut gewinnen; es reichte, um in der Gesamtwertung auf den zweiten Platz vorzurücken. Pantani verlor hier zwar 2:35 Minuten auf Ullrich, ihm blieb ein Vorsprung von 3:21 im Gesamtklassement, was für ihn den ersten Toursieg bedeutete.
Marco Pantani konnte mit diesem Sieg nachweisen, dass es möglich ist, auch in dieser Zeit als reiner Bergfahrer die Tour zu gewinnen. Insbesondere seit den Siegen von Miguel Induráin galten gute Zeitfahrqualitäten als wichtigste Voraussetzung für einen Tourerfolg. Auch die Vermutung, es sei nicht mehr möglich, im gleichen Jahr den Giro und die Tour zu gewinnen, konnte Pantani damit widerlegen.
Doping-Skandal
Die Tour de France 1998 wurde von einem schweren Doping-Skandal überschattet, der über die anfängliche Festina-Affäre hinausging. Er führte zu einem Kräftemessen zwischen den Dopingfahndern und den Tour-Teilnehmern, die mit Streik und teilweise dem Ausstieg aus dem Rennen antworteten.
Am 8. Juli wurde der Pfleger der Festina-Mannschaft Willy Voet in Nordfrankreich beim Transport von Dopingsubstanzen, darunter mehr als 400 Ampullen EPO verhaftet. Dieses Ereignis wurde erst kurz nach dem Tour-Start bekannt. Am 14. Juli gab Voet bei seiner Vernehmung zu, auf Anweisung von Festina-Offiziellen gehandelt zu haben, und dies nicht zum ersten Mal. Am 15. Juli wurden Sportdirektor Bruno Roussel und Mannschaftsarzt Eric Ryckaert verhaftet sowie das Mannschaftshotel von Festina durchsucht.
Am 23. Juli wurden die Festina-Fahrer in Lyon vorübergehend festgenommen und verhört. Sieben Fahrer gaben ihr Doping zu, nur Richard Virenque und Pascal Hervé behaupteten, möglicherweise ohne ihr Wissen gedopt worden zu sein.
Unterdessen wurde bekannt, dass im März desselben Jahres ein Teamwagen von TVM-Farm Frites an der französischen Grenze mit EPO-Ampullen erwischt wurde. In Reims wurden TVM-Sportdirektor Cees Priem und der Arzt Andrei Michailov verhaftet. Die Fahrer der anderen Mannschaften solidarisierten sich mit ihren Kollegen und unternahmen auf der 12. Etappe am 24. Juli einen ersten Streik, indem sie mit zweistündiger Verspätung antraten. Nach mehreren Gesprächen einigten sich alle Parteien auf die Fortsetzung der Tour.
Am 26. Juli wurden Spritzen und andere verdächtige Substanzen in der Nähe eines Hotels entdeckt, in dem die Mannschaften GAN, Saeco, Casino und Kelme übernachtet hatten. Am 28. Juli wurde das Hotel des TVM-Teams von der Polizei durchsucht. Die Fahrer wurden in ein Krankenhaus gebracht, wo Blut-, Urin- und Haarproben von ihnen genommen wurden.
Zur 17. Etappe am 29. Juli kam es erneut zum Streik. Er richtete sich gegen die Behandlung der TVM-Fahrer durch die Polizei und die dabei durchgeführten Dopingtests. Schon vor dem Start oder bald danach nahmen alle Fahrer ihre Startnummern ab. Zahlreiche Fahrer, darunter der Gesamtführende Marco Pantani, unterstrichen ihren Protest durch einen zeitweiligen Sitzstreik auf der Straße. Danach wurde das Rennen demonstrativ verbummelt und der Sieg symbolisch dem TVM-Team überlassen. Die Teams von ONCE, Banesto und Riso Scotti verließen die Tour. Am 30. Juli zogen sich Kelme und Vitalico von der Tour zurück. Am selben Tag wurde der Träger des Gepunkteten Trikots Rodolfo Massi (Casino) und der Arzt Nicolas Terrados-Cepeda (ONCE) verhaftet. Im Koffer von Massi wurden Kortikoide, Anabolika und Wachstumshormone gefunden. Er behauptete, die Mittel nur zum persönlichen Bedarf mit sich geführt zu haben, wurde aber als Dealer angesehen. Bei der folgenden Etappe am 31. Juli stieg das gesamte TVM-Team aus.
Am 24. Juli 2013 veröffentlichte die Anti-Doping-Kommission des französischen Senats die Ergebnisse einer nachträglichen Untersuchung von Dopingproben aus dem Jahr 1998. Dabei wurde sowohl in den Proben des Gesamtsiegers Marco Pantani als auch des Zweiten Jan Ullrich EPO nachgewiesen. Da es sich bei den Untersuchungen um wissenschaftliche Analysen handelt und keine B-Proben zur Kontrolle vorhanden waren, haben diese Ergebnisse keine sportrechtlichen Konsequenzen.[1][2]
Die Etappen
Etappen
|
Tag
|
Start – Ziel
|
km
|
Etappensieger
|
Gelbes Trikot
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Prolog |
11. Juli |
Dublin (IRL) |
5,6 (EZF) |
Chris Boardman |
Chris Boardman
|
1. Etappe |
12. Juli |
Dublin – Dublin |
180,5 |
Tom Steels
|
2. Etappe |
13. Juli |
Enniscorthy (IRL) – Cork (IRL) |
205,5 |
Ján Svorada |
Erik Zabel
|
3. Etappe |
14. Juli |
Roscoff – Lorient |
169 |
Jens Heppner |
Bo Hamburger
|
4. Etappe |
15. Juli |
Plouay – Cholet |
252 |
Jeroen Blijlevens |
Stuart O’Grady
|
5. Etappe |
16. Juli |
Cholet – Châteauroux |
228,5 |
Mario Cipollini
|
6. Etappe |
17. Juli |
La Châtre – Brive-la-Gaillarde |
204,5 |
Mario Cipollini
|
7. Etappe |
18. Juli |
Meyrignac-l'Eglise – Corrèze |
58 (EZF) |
Jan Ullrich |
Jan Ullrich
|
8. Etappe |
19. Juli |
Brive-la-Gaillarde – Montauban |
190,5 |
Jacky Durand |
Laurent Desbiens
|
9. Etappe |
20. Juli |
Montauban – Pau |
210 |
Léon van Bon
|
10. Etappe |
21. Juli |
Pau – Luchon |
196,5 |
Rodolfo Massi |
Jan Ullrich
|
11. Etappe |
22. Juli |
Luchon – Plateau de Beille |
170 |
Marco Pantani
|
Ruhetag
|
12. Etappe |
24. Juli |
Tarascon-sur-Ariège – Cap d’Agde |
222 |
Tom Steels |
Jan Ullrich
|
13. Etappe |
25. Juli |
Frontignan-la-Peyrade – Carpentras |
196 |
Daniele Nardello
|
14. Etappe |
26. Juli |
Valréas – Grenoble |
186,5 |
Stuart O'Grady
|
15. Etappe |
27. Juli |
Grenoble – Les Deux Alpes |
189 |
Marco Pantani |
Marco Pantani
|
16. Etappe |
28. Juli |
Vizille – Albertville |
204 |
Jan Ullrich
|
17. Etappe |
29. Juli |
Albertville – Aix-les-Bains |
149 |
nicht gewertet
|
18. Etappe |
30. Juli |
Aix-les-Bains – Neuchâtel (CH) |
218,5 |
Tom Steels
|
19. Etappe |
31. Juli |
La Chaux-de-Fonds (CH) – Autun |
242 |
Magnus Bäckstedt
|
20. Etappe |
1. August |
Montceau-les-Mines – Le Creusot |
52 (EZF) |
Jan Ullrich
|
21. Etappe |
2. August |
Melun – Paris |
147,5 |
Tom Steels
|
Trikots im Tourverlauf
Die Tabelle zeigt den Führenden in der jeweiligen Wertung zu Beginn der jeweiligen Etappe an.
Alle Teams und Fahrer
Tour de France 1998
A: Aufgabe während der Etappe, NA: nicht zur Etappe angetreten, S: suspendiert/ausgeschlossen, ZÜ: Zeitüberschreitung
Siehe auch
Literatur
- Andreas Singler, Gerhard Treutlein: Doping- von der Analyse zur Prävention: Vorbeugung gegen abweichendes Verhalten in soziologischem und pädagogischem Zugang. Meyer & Meyer Verlag, 2001
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ radsport-news.com vom 25. Juli 2013: UCI kritisiert Anti-Doping-Bericht des französischen Senats
- ↑ Tour de France 1998: Ullrich und Zabel stehen auf Epo-Liste. spiegel.de, 24. Juli 2013, abgerufen am 29. Juli 2016.